Scheinheilig – Wie uns ein schlechtes Gewissen beeinflusst

Jeder wäre gerne redlich, ehrlich und gut. Allerdings klappt das im Alltag nicht immer. Aber wie reagieren wir auf ein schlechtes Gewissen? Eine neue Studie kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

Folgendes Gedankenspiel: Erinnern Sie sich an ein Ereignis aus Ihrer Vergangenheit, auf dass sie so gar nicht stolz sind. Irgendeine Tat, an die Sie mit Schuldgefühlen, Reue oder Scham zurückdenken. Haben Sie vielleicht schon mal jemanden belogen oder betrogen? Waren Sie gelegentlich unehrlich, illoyal oder egoistisch?

Falls Sie sich gerade an eine vergangene Missetat erinnern – und ich bin mir fast sicher, dass Sie das tun -, wie fühlen Sie sich dabei? Ich schätze mal: nicht gut. Und das ist auch ganz normal.

Sozialpsychologen sind inzwischen davon überzeugt, dass es in unserem ureigenen Interesse liegt, ein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten. Vereinfacht gesagt wollen wir davon überzeugt sein, ein guter Mensch zu sein. Da passt Lügen und Betrügen natürlich nicht ins Bild. Und mit diesem Konflikt müssen wir irgendwie umgehen.

Glücklicherweise gibt es da einige praktische Mechanismen. Wir können versuchen, unsere Fehltritte einfach zu vergessen; wir können sie abstreiten („Ich war das nicht!“), relativieren („So schlimm war es doch auch nicht!“) oder rechtfertigen („Die anderen machen es doch auch!“).

Doch laut einer neuen Studie führt ein schlechtes Gewissen häufig zu einer ganz anderen Reaktion: „Wenn die Menschen ihre Fehltritte nicht leugnen können, distanzieren sie sich davon gleich doppelt“, resümieren Wissenschaftler um Rachel Barkan von der israelischen Ben-Gurion-Universität des Negev, „erstens beurteilen sie andere Menschen umso strenger, und zweitens empfinden sie sich selbst als korrekter und anständiger.“

Der schimpfende Esel

Zu diesem Ergebnis gelangte das Forscherteam in insgesamt sechs Experimenten mit mehreren Hundert Teilnehmern. Bei einem davon wurden 141 Studenten zunächst in vier Gruppen unterteilt. Gruppe A sollte sich an einen vergangenen Fehltritt erinnern, so wie oben beschrieben, und diese Erinnerung schriftlich festhalten. Gruppe B sollte sich an eine Situation erinnern, in der sie sich korrekt verhalten hatten, Gruppe C sollte einen typischen Abend zu Hause beschreiben, Gruppe D eine traurige Situation aus der Vergangenheit.

Nun sollten sich alle Gruppen in die Haut eines Personalverantwortlichen versetzen, der über eine Stellenbesetzung entscheiden muss – allerdings genoss der Bewerber einen zweifelhaften Ruf. Er hatte dem Personaler nämlich gesteckt, dass er Geschäftsgeheimnisse eines Konkurrenten besitze.

War diese Information für die Probanden ein Ausschlusskriterium? Und ob – allerdings hauptsächlich für die Teilnehmer in Gruppe A. Sie waren am seltensten dazu bereit, dem Bewerber diesen Fehltritt zu verzeihen, wollten ihn am seltensten von allen Gruppen einstellen und empfanden ihn am häufigsten als illoyal.

Dieselbe Manipulation verwendeten die Wissenschaftler auch in den weiteren Experimenten – und das Resultat war das gleiche. Jedes Mal ging jene Gruppe, die sich zuvor an eigene Fehltritte erinnerte, mit den Fehltritten anderer Person am unbarmherzigsten um. Mehr noch: Sie gaben zudem am häufigsten an, dass sie selbst sich niemals so benehmen würden.

Die Wissenschaftler um Rachel Barkan nennen dieses Verhalten das „Esel schimpft den anderen Langohr“-Phänomen. Will sagen: Wenn wir mit eigenen Fehlern, Sünden und Unzulänglichkeiten konfrontiert werden, entsteht nach Ansicht von Barkan „ethische Dissonanz“ – also ein Konflikt zwischen unserem optimalen Selbstbild und unserem tatsächlichen Verhalten. Und um damit umzugehen, distanzieren wir uns mental von unseren Fehlern – und beurteilen andere umso strenger.

Quelle:
Rachel Barkan, Shahar Ayal, Francesca Gino, Dan Ariely (2012). „The Pot Calling the Kettle Black: Contrast Response to Ethical Dissonance.“ In: Journal of Experimental Psychology: General.

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