Lieder von damals – Warum Musik Erinnerungen weckt

Wir hören nur ein paar Töne – und schon reisen wir gedanklich in der Zeit zurück. Viele Lieder sind verknüpft mit Personen, Orten und Erlebnissen. Aber warum weckt Musik Erinnerungen?

Musik hat magische Kräfte. Sie kann uns glücklich machen oder nachdenklich, kann uns trösten oder aufrichten. Ohne Klänge und Töne wäre unser Leben nicht dasselbe. Viele Gefühle erleben wir durch sie intensiver.

Aber wieso verbinden wir bestimmte Lieder mit bestimmten Personen? Warum versetzen uns selbst einzelne Klänge in die Vergangenheit? Sprich: Weshalb macht Musik nostalgisch?

Leicht ins Gehirn

Zunächst einmal kann sich Musik leicht im Gedächtnis einnisten. Der Grund liegt in ihrer Komplexität. Wenn wir Musik hören, ist beinahe das gesamte Gehirn beteiligt. Es muss die Melodie verarbeiten, den Rhythmus, die Tonhöhe. Lieder verfügen also über verschiedene Anker, die in unserem Gedächtnis festmachen können.

Dafür ist es natürlich notwendig, dass wir sie überhaupt wahrnehmen. Für Physiker bestehen Klänge nur aus Schwingungen. Die entstehen, weil Musik den Luftdruck verändert. Diese Schwingungen wandern durch das Ohr zum Trommelfell und weiter zum Hörnerv im Innenohr. Dort warten 3500 Haarzellen auf ihren Einsatz. Sie verwandeln den Ton in Nervenimpulse.

Diese Impulse machen sich auf den Weg zum Hörzentrum, dem auditorischen Kortex. Der ist Teil der Schläfenlappen und interpretiert die einkommenden Informationen. Allerdings teilt er sich die Aufgaben: Das Hörzentrum in der linken Hirnhälfte verarbeitet tendenziell eher Rhythmen, jenes in der rechten Hälfte vor allem Klänge und Töne. Von dort wird Musik nun in verschiedene Hirnregionen verteilt.

Töne im Kopf

Einen ersten Hinweis, was genau Musik in unserem Gehirn auslöst, lieferten Neuropsychologen um Isabelle Peretz von der Universität von Montreal im Jahr 1998. Sie präsentierten der Öffentlichkeit eine 40-jährige Frau.

Sie war zehn Jahre zuvor operiert worden, denn in ihren Hirnarterien hatten sich Aneurysmen gebildet – Gefäßerweiterungen, die im schlimmsten Fall zu Hirnblutungen führen können. Chirurgen hatten diese Aneurysmen bei einer Operation entfernt.

Ein heikler Eingriff, den die Frau aber gut überstanden hatte. In Intelligenztests schnitt sie ebenso gut ab wie in Gedächtnisübungen, auch konnte sie normal sprechen.

Doch ganz folgenlos war der Eingriff nicht geblieben: Die Patientin hatte Probleme mit Musik. Sie war nicht mehr dazu in der Lage, Melodien wiederzuerkennen. Sie konnte nicht zwischen Musikstücken unter- scheiden. Und sie konnte nicht mehr als einen Ton singen.

Peretz fand heraus: In beiden Hirnhälften waren Teile der Schläfenlappen beschädigt, der Gyrus temporalis superior sowie Teile des Gyrus frontalis inferior, dessen Nervenzellen beim Hören eine Rolle spielen.

Ein erster Hinweis darauf, dass die Schläfenlappen nicht nur dafür zuständig sind, Erinnerungen zu formen und zu wecken. Sondern auch dafür, Musik wiederzuerkennen.

Wie Essen oder Sex

Diese Vermutung konnten Wissenschaftler inzwischen in Versuchen mit gesunden Menschen bekräftigen. „Die Musik bedient sich neuronaler Belohnungs- und Emotionsmechanismen“, schrieben die kanadischen Neurologen Anne Blood und Robert Zatorre im Jahr 2001.

Diese Mechanismen sind auch bei Essen, Sex oder Drogenkonsum aktiv. Deshalb fühlen wir uns so wohl, wenn wir unsere Lieblingslieder hören.

Ein bemerkenswertes Ergebnis. Musik ist streng genommen weder für das biologische Überleben noch für die Fortpflanzung notwendig. Eine pharmakologische Substanz ist sie schon gar nicht. Dennoch scheint unser Gehirn auf bestimmte Musik besonders zu reagieren.

Unser Lied

Eine der ersten Studien, die sich dem Phänomen musikalischer Nostalgie widmete, publizierte vor einigen Jahren Petr Janata von der Universität von Kalifornien in Davis. Er wollte zunächst herausfinden, welche Gefühle Musik aus der Vergangenheit auslöst. Daher konfrontierte er 329 Studenten zwischen 18 und 29 mit Popsongs – und zwar solchen, die in den US-Hitparaden auf den ersten 100 Plätzen standen, als die Teilnehmer zwischen 7 und 19 Jahre alt waren.

Die Teilnehmer sollten nun angeben, ob ein Lied eine Erinnerung auslöste. Wenig überraschend: 96 Prozent ging das bei mindestens einem Song so. Außerdem sollten sie bewerten, was sie beim Hören der Stücke gespürt hatten. Auf Platz eins landete: „glücklich“. Auf Platz zwei: „jugendlich“. Und auf Platz drei: „nostalgisch“.

Was dabei in unserem Gehirn abläuft und warum sich das so gut anfühlt, konnte Janata vor einigen Jahren endlich beantworten. Wieder konfrontierte er Versuchspersonen mit Hits ihrer Jugend. Doch diesmal lauschten sie ihren Lieblingsliedern in einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT). Über Knöpfe sollten die Probanden angeben, wie angenehm sie einen Song fanden und ob er Erinnerungen weckte. Währenddessen nahm der fMRT auf, welche Hirnregionen aufleuchteten.

Besonders aktiv war derweil der präfrontale Kortex, vor allem dessen mittlerer Teil: „Er verbindet Musik mit Erinnerungen“, sagt Janata. Hören wir unsere Lieblingsstücke, fühlen wir uns nicht nur gut. Gleichzeitig legt die Musik eine Art Schalter um, der dann Erinnerungen weckt.

Laut Janata passiert das in einem Bereich direkt hinter unserer Stirn. Das könnte erklären, warum sich selbst Alzheimer-Patienten im hohen Alter noch an der Lieblingsmusik ihrer Jugend erfreuen. Denn bei ihnen bleibt genau jener mittlere präfrontale Kortex am längsten intakt.

Irgendwie beruhigend.

Es gibt Schöneres, als älter zu werden. Der Körper gehorcht nicht mehr wie früher, auch der Geist lässt nach. Insbesondere dann, wenn Krankheiten hinzukommen, Erinnerungen verblassen und das Licht des Lebens verdunkelt.

Doch die Experimente von Janata und Co. zeigen: Wie schlecht unser Gedächtnis auch sein mag – Musik wird uns immer wieder in die Vergangenheit zurückschicken.

Der Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch „Die guten alten Zeiten“, das im dtv erschienen ist.

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