Falsche Erinnerungen – Gedächtnislücken sind normal

Sie vergessen ständig Daten, Fakten und Ereignisse? Grämen Sie sich nicht: Selbst Menschen mit einem außergewöhnlichen Gedächtnis sind vor Erinnerungslücken nicht gefeit.

Der griechische Philosoph Platon verglich das Gedächtnis mit einer Wachstafel. „Was sich da abgeprägt hat, dessen erinnern wir uns und das wissen wir, solange das Abbild davon sich auf der Tafel erhält.“ Klingt gut, stimmt aber nicht.

Vielmehr wissen Psychologen: Das menschliche Gedächtnis ist alles andere als perfekt. Ständig vergessen wir Daten, Fakten und Erlebnisse.

Mehr noch: Häufig kommt es sogar zu falschen Erinnerungen. Egal ob Jugendliche oder Senioren, egal ob es um einen Aufenthalt im Krankenhauses oder den Besuch eines Vergnügungsparks geht: Menschen lassen sich einreden, etwas erlebt zu haben, das in Wahrheit nie stattgefunden hat.

Ein Denkfehler, dem selbst Menschen mit vermeintlich perfektem Gedächtnis unterliegen. Wortwörtlich.

Zu diesem Ergebnis kommt jetzt der Psychologe Lawrence Patihis von der Universität von Kalifornien in Irvine. Für seine neue Studie gewann er 20 Personen, die am hyperthymestischen Syndrom litten.

Dahinter verbirgt sich eine Entdeckung des legendären Neurobiologen James McGaugh. Fragt man einen Betroffenen zum Beispiel nach dem 19. Oktober 1987, antwortet er: „Das war ein Montag, damals fielen die Börsenkurse weltweit. Und die Cellistin Jacqueline du Pré starb.“

Klingt skurril? Ist es auch. Die Betroffenen können sich mühelos an die Vergangenheit erinnern – und zwar an so ziemlich jeden einzelnen Tag.

Patihis wollte herausfinden, ob Menschen mit einem solch übermenschlichen Gedächtnis trotzdem auf falsche Erinnerungen hereinfallen – oder ob sie dagegen immun sind.

Deshalb unterzog er sie verschiedenen Tests, die in solchen Experimenten traditionell verwendet werden. Bei einem sehen die Probanden zum Beispiel eine Reihe verwandter Wörter, etwa Licht, Schatten, Glühbirne, Tisch. Ein paar Minuten später sollen sie in einer Liste angeben, an welche Wörter sie sich noch erinnern. Etwa die Hälfte der Teilnehmer nennt nun das Wort Lampe – obwohl es nicht auf der Liste stand.

Eine andere Möglichkeit: Die Forscher zeigen zunächst Fotos und Videos eines Ereignisses. Dann geben sie den Probanden vermeintlich wahre Informationen über das Ereignis. Nun sollen sie angeben, welche davon sie zuvor auf den Fotos oder Videos gesehen haben. Das Ergebnis: Sie vermischen die Infos – und bilden sich ein, etwas gesehen zu haben, was gar nicht zu sehen war.

Klingt simpel? Erst recht für Menschen mit einem übernatürlichen Gedächtnis? Könnte man meinen. Wäre aber falsch.

Denn Patihis testete nicht nur 20 Probanden mit hyperthymestischem Syndrom, sondern auch 38 Menschen mit normalem Gedächtnis. Und siehe da: Die Ergebnisse glichen sich. Selbst die Supermerker fielen auf falsche Erinnerungen rein – egal ob es um neutrale Wörter oder emotionale Nachrichtenvideos ging.

Zwar konnten sie sich bei den Wörter-Tests an mehr richtige Begriffe erinnern. Doch sie nannten den falschen Begriff „Lampe“ genauso oft wie die Kontrollgruppe. Einige schnitten sie sogar noch schlechter ab.

„Fehlbare Erinnerungsprozesse sind allgegenwärtig und normal“, sagt Patihis. Wenn Sie sich also das nächste Mal über eine Erinnerungslücke ärgern, grämen Sie sich nicht: Sie sind nicht allein. Unser Gedächtnis ist eben höchst labil.

Oder, wie es der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom einmal ausdrückte: „Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.“

Quelle:
Lawrence Patihis et al (2013). False memories in highly superior autobiographical memory individuals, Proceedings of the National Academy of Sciences

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