Subtiler Einfluss – Umgebung prägt Einstellung

Die Umgebung kann die Einstellung massiv beeinflussen. Selbst dann, wenn Menschen sich nur kurz an einem Ort aufhalten.

Bereits in den Siebzigerjahren konnte der US-Psychologe Philip Zimbardo zeigen, dass ein Auto von Passanten eher demoliert wird, wenn man vorher das Kennzeichen abmontiert und die Motorhaube leicht anhebt – als Signal dafür, dass das Fahrzeug niemanden interessiert.

Der Kriminologe George Kelling und der Politikwissenschafter James Wilson nannten das Phänomen später „Broken-Windows-Theorie“. Sie nahmen an, dass vermeintlich harmlose Schäden wie etwa ein zerbrochenes Fenster die Menschen dazu anstiften, sich daneben zu benehmen. Insbesondere dann, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Frei nach dem Motto: Wenn die Umgebung unordentlich ist, muss ich mich nicht mehr an Regeln halten.

Doch das Umfeld prägt nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere Einstellung. Selbst dann, wenn Menschen sich nur kurz an einem Ort aufhalten.

Das behauptet zumindest der britische Psychologieprofessor Daniel Nettle.

Für seine Studie schickte er zunächst Fragebögen an Hunderte von Einwohnern der Stadt Newcastle upon Tyne – und zwar in zwei verschiedene Stadtviertel. Viertel A ging es wirtschaftlich schlechter als Viertel B. Die Arbeitslosigkeit war höher, die Menschen hatten weniger Geld.

Nettle wollte von den Bewohnern nun zwei Dinge wissen. Wie stark vertrauten sie Freunden und Fremden? Gingen sie davon aus, dass es ihre Mitmenschen prinzipiell gut mit ihnen meinten? Oder waren sie davon überzeugt, dass die anderen ihnen schaden wollten?
Aus früheren Studien war bekannt, dass sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen weniger Zutrauen haben und mehr Misstrauen hegen. Genau dasselbe Ergebnis erhielt auch Nettle: Die Einwohner des ärmeren Viertels waren anderen gegenüber wesentlich misstrauischer und weniger vertrauensvoll.

Nun schickte er 52 Freiwillige aus einer anderen Gegend der Stadt in eines der beiden Viertel. Dort sollten sie 45 Minuten lang spazieren gehen und Post in Briefkästen werfen. Im Anschluss stellte er ihnen dieselben Fragen wie zuvor den Anwohnern. Und siehe da: Die Umgebung färbte auf die Antworten ab.

Hinterher hatten jene Probanden, die in der sozial schwächeren Umgebung unterwegs gewesen waren, weniger Vertrauen und mehr Misstrauen in ihre Mitmenschen als jene Freiwilligen, die sich im besseren Viertel aufgehalten hatten. Oder anders formuliert: Die Einstellung der Freiwilligen spiegelte die der Anwohner wider.

Zugegeben, das Ergebnis ist nur eine Momentaufnahme. Nettle untersuchte nicht, ob die Teilnehmer ihre Einstellung nach dem Versuch noch beibehielten. Besser wäre es gewesen, wenn er alle Probanden auch vor dem Versuch befragt hätte – für einen Vorher-Nachher-Vergleich. Dennoch ist der Psychologe von der Relevanz seiner Studie überzeugt.

Ob ein Mensch anderen vertraue oder ihnen gegenüber misstrauisch sei, werde immer auch von der Umgebung beeinflusst. „Das geschieht mitunter sehr schnell“, sagt Nettle. „Die Freiwilligen interagierten während ihrer Visite mit niemandem. Sie waren einfach da und sahen die Umgebung. Und das reichte, um ihre Einstellung zu prägen.“

Quelle:
Daniel Nettle et al (2014). Being there: a brief visit to a neighbourhood induces the social attitudes of that neighbourhood, PeerJ

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