Skinners Erbe – Warum Apps beim Abnehmen helfen

Bei den Vorsätzen für das kommende Jahr landet „Abnehmen“ immer weit vorne. Womöglich könnte dabei auch das Handy hilfreich sein. Eine neue Studie resümiert: Wer sein Gewicht täglich in einer App festhält, nimmt leichter ab. 

Die Studie ist schnell erzählt: Bonnie Spring von der medizinischen Fakultät der Northwestern Universität gewann für ihre Untersuchung 69 Übergewichtige mit einem Durchschnittsalter von 58 Jahren. Dann teilte die Forscherin sie in zwei Gruppen.

Zwar versammelten sich alle Teilnehmer ein Jahr lang zwei Mal im Monat in einer Klinik, um über ihre Fortschritte zu sprechen. Doch die eine Hälfte der Probanden erhielt während der gesamten Zeit zusätzlich einen tragbaren Minicomputer, auch PDA genannt. Dort trugen sie täglich ein, was sie aßen, wie viel Sport sie machten und wie hoch ihr Gewicht war.

Alle drei Monate trafen sie sich mit Bonnie Spring, damit die ihr Gewicht offiziell notieren konnte. Und siehe da: Nach zwölf Monaten hatte die PDA-Gruppe im Schnitt knapp vier Kilo mehr abgenommen als die Gruppe ohne elektronischen Assistenten. Offenbar hatte die digitale Selbstkontrolle die Diät befördert. Aber warum?

An dieser Stelle ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Psychologie.

Allen Psychologen ist gemein: Sie wollen erforschen, warum der Mensch tut, was er tut. Doch diesem Thema nähern sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven.

Da gibt es zum Beispiel die Anhänger der psychodynamischen Perspektive. Deren bekanntester Vertreter war der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Er glaubte, dass unser Verhalten vor allem durch innere Kräfte angetrieben wird – Instinkte und Triebe, die von Generation zu Generation vererbt werden. Laut Freud geht es dem Menschen vor allem darum, seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine Triebe zu reduzieren.

Anderer Ansicht waren die Vertreter der behavioristischen Perspektive. Entwickelt wurde sie vor allem von zwei amerikanischen Psychologen: Zum einen John B. Watson, der auch durch das Experiment mit Little Albert bekannt wurde. Und zum anderen Burrhus Frederic Skinner, dessen Vorname heute meist nur mit „B.F.“ abgekürzt wird.

Beide wandten sich vor allem gegen das Mittel der Introspektion, also Selbstberichte über Gefühle, Eindrücke und Empfindungen. Sie glaubten, dass diese Methode zu subjektiv sei, um daraus objektive, wissenschaftliche Schlüsse zu ziehen. Stattdessen sollten Psychologen vor allem beobachtbares Verhalten erforschen – und zwar bei allen Lebewesen. Was für Tiere gelte, lasse sich auch auf Menschen anwenden.

Skinner war der Ansicht, dass Verhalten nicht unbedingt durch Gedanken oder Gefühle geprägt wird – sondern vor allem durch Umweltreize. Deshalb bastelte er die heute legendäre Skinner-Box, einen kleinen Käfig. Darin steckte er Ratten und brachte ihnen bei, dass sie beim Drücken eines Hebels eine Futterpille erhielten. In anderen Experimenten bekamen sie die Futterpille nur dann, wenn sie zuvor im Kreis gelaufen waren – auch das lernten die Nager recht schnell.

Die Pille bezeichnet man auch als Verstärker. Dieser Verstärker sorgt dafür, ein Verhalten wahrscheinlicher zu machen. Hundebesitzer kennen das: Macht der Vierbeiner etwas richtig, erhält er ein Leckerli als positiven Verstärker. Autofahrer kennen das auch: Bei vielen Wagen ertönt ein ohrenbetäubendes Piepen, wenn man sich nicht anschnallt. Dieser negative Verstärker verschwindet, sobald man den Gurt umlegt. Beide Methoden sollen dafür sorgen, eine bestimmte Verhaltensweise beizubringen – oder eine andere abzulegen.

Und das führt uns wieder zu den Smartphone-Apps. Inzwischen gibt es ja für so ziemlich jede menschliche Handlung ein Handyprogramm. Bei den einen kann man jede Einnahme und Ausgabe festhalten, bei den anderen seine täglichen Joggingrouten, bei wieder anderen eben sein tägliches Gewicht. Doch alle sind gewissermaßen Skinners Erben – denn sie basieren auf dem Behaviorismus.

Beispiel Ernährung: Wer heute schon weiß, dass er morgen wieder sein Gewicht schriftlich festhalten wird, passt sein Verhalten eben schon heute mit höherer Wahrscheinlichkeit an. Er wird vielleicht weniger Süßes und Salziges naschen, Kalorienarmes bevorzugen und mehr Sport treiben – weil er weiß, dass er morgen wieder datengestützte Rechenschaft ablegen muss.

Sicher, die technischen Hilfsmittel haben sich seit Watson und Skinner gewandelt – aber die Wirkungsweise ist gleich geblieben.

Quelle:
Bonnie Spring et al (2012). Integrating Technology Into Standard Weight Loss Treatment. Archives of Internal Medicine

2 Kommentare

  1. Also, alles was mich unterstützen muss und ich nicht aus eigener Kraft schaffe, ist nicht von langer Dauer, ich habe bei Herrn Selzer (Suchttherapeut) sowohl das Rauchen aufgegeben, als auch ein Abnehmseminar besucht und halte mein Gewicht jetzt -nach 15kg Verlust- konstant. Keine Pillen, keine Apps. Therapieeffekt.de ist einfach klasse!

  2. Ein sehr gut geschriebener Artikel. So habe ich den Forschungsansatz Behaviorismus noch einprägsamer verstanden. Vielen Dank!

    Ich denke das bei diesem Experiment auch noch die Wirkung des „Commitment“ verstärkend hinzu kommt. Die Teilnehmer mußten bei der regelmäßigen öffentlichen Kontrolle in den Monaten in erster Linie ihre eigenen Daten angeben, die sie selbst vermerkt hatten. Es heißt ja auch „alle Menschen lügen, außer mir“ und wenn ich selbst Angaben mache, habe ich einen größeren Druck die Wahrheit gesagt/notiert zu haben. Mein PDA würde ja niemals schwindeln.

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