Luft nach oben – Potenzial imponiert mehr als Erfolg

Erfolge müssen andere Menschen nicht zwangsläufig beeindrucken, resümieren US-Forscher in einer neuen Studie: Häufig imponiert das Potenzial für künftige Großtaten viel stärker.

Folgende Situation: Person A ist ein Doktorand, der in den ersten drei Berufsjahren zehn Artikel in renommierten Magazinen veröffentlichen könnte. Person B hat diese zehn Artikel in drei Berufsjahren bereits veröffentlicht. Frage: Wen würden Sie eher einstellen?

Oder nehmen wir an, Sie wären Manager einer Sportmannschaft – wen würden Sie lieber ins Team holen: Den Frischling, dem alle Experten eine große Karriere voraussagen? Oder den etwas Erfahreneren, der bereits erste Erfolge gefeiert hat?

Objektiv scheint es logisch, jeweils den zweiten Kandidaten zu bevorzugen. Immerhin hat er bereits gezeigt, was er drauf hat, während der erste Kandidat – so talentiert er auch sein mag -, eine Wette auf die Zukunft ist. Oder anders formuliert: Entscheiden wir uns für ihn, entscheiden wir uns gleichzeitig für Unsicherheit. Denn wir können nicht sicher sein, ob er sein Potenzial tatsächlich abruft. Doch offenbar ist uns das häufig lieber.

Im Auge des Betrachters

„Wenn wir jemanden beurteilen, ist uns sein Potenzial wichtiger als seine Erfolge“, schreibt Zakary Tormala von der Stanford Universität in einer neuen Studie. Wer die Aufmerksamkeit auf das Talent richte („Der könnte mal was werden“) mache die Person damit in den Augen des Betrachters interessanter und wertvoller, als wenn er von dessen bereits erzielten Großtaten erzählt („Der hat schon was erreicht“).

Tormala überlegte sich für seine Untersuchung insgesamt acht Experimente mit acht verschiedenen Teilnehmergruppen. Mal sollten die Probanden in die Rolle eines Sportmanagers schlüpfen und entscheiden, welchen Spieler sie eher kaufen sollten – den Veteran oder den Neuling. Mal sollten sie den Abteilungsleiterposten in einem Unternehmen besetzen, ein ander Mal sollten sie zwischen zwei Kunstwerken wählen oder sich ein Restaurant für ein nettes Abendessen aussuchen. Und die Freiwilligen entschieden sich jedes Mal gleich.

Sie wollten lieber den Sport-Frischling kaufen, bevorzugten den unerfahreneren Manager, den Nachwuchskünstler und den Nachwuchskoch. Mit anderen Worten: Das Potenzial der einen Kandidaten war ihnen lieber und wichtiger als die ersten Erfolge der anderen – obwohl sie zugaben, dass sie sich dabei zwangsläufig unsicher fühlten. Doch das konnte sie nicht abhalten. Wie kommt das?

Tormala meint, dass Potenzial genau wegen dieser Unsicherheit interessanter sei als Erfolg. Die Unklarheit führe dazu, dass man fast automatisch länger über den Kandidaten mit Potenzial nachdenke als über den mit ersten Erfolgen. Wenn die vorliegenden Informationen positiv sind – was sie in allen acht Experimenten waren -, zieht man umso positivere Schlüsse. Und lässt sich vom Talent faszinieren, in der Hoffnung, dass da noch Luft nach oben ist. Tormala: „Manchmal begeistert ungenutztes Potenzial eben stärker.“

Quelle:
Zakary Tormala, Jayson Jia und Michael Norton (2012). The Preference for Potential. Journal of Personality and Social Psychology.

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