Höchste Not – Im Katastrophenfall sind Männer egoistisch

„Frauen und Kinder zuerst“ – dieses ungeschriebene Gesetz gilt bei Schiffsuntergängen und anderen Katastrophen. Aber wird es auch eingehalten? Mitnichten, resümieren zwei Wissenschaftler in einer neuen Studie.

Mehr als 100 Jahre ist es nun her, dass das berühmteste Kreuzfahrtschiff der Welt im Nordatlantik verschwand. Doch in der Nacht des 14. April 1912 sank mit der Titanic nicht nur ein legendärer Luxusdampfer. Die Tragödie war auch aus anderer Sichtweise eine Ausnahme: Die Überlebensrate weiblicher Passagiere war ungewöhnlich hoch.

So lautet das Resultat einer umfangreichen Studie der beiden Ökonomen Mikael Elinder und Oscar Erixson von der schwedischen Uppsala Universität. Dafür analysierten sie 18 tragische Schiffsunglücke aus den Jahren 1852 bis 2011, von denen mehr als 15.000 Passagieren aus über 30 Ländern betroffen waren. Und die Studie zeigt vor allem eines: Im Angesicht des Todes ist sich jeder selbst der nächste.

Eigentlich gilt bei Notfällen, auch auf See, ein ungeschriebenes Gesetz: Frauen und Kinder zuerst. Doch Elinder und Erikson fanden bei ihrer Analyse heraus, dass diese Regel bei vielen Havarien als erstes über Bord geht.

Bei Katastrophen prallen zwei Welten aufeinander. Zum einen wird von Männern erwartet, dass sie Frauen und Kinder zuerst retten, bevor sie sich selbst in Sicherheit bringen. Zum anderen aber gilt der Mensch als rationales Wesen, der Kosten und Nutzen seiner Handlungen genau abwägt. Wenn durch die Hilfsbereitschaft das eigene Leben in Gefahr gerät, dann wäre es diesem Kalkül zufolge vernünftiger, zunächst sich selbst in Sicherheit zu bringen. Und es scheint fast so, als wäre der Überlebensinstinkt stärker als die gute Kinderstube. Zumindest bei den untersuchten Havarien.

Elinder und Erixson fanden heraus, dass Frauen nur bei zwei der 18 untersuchten Schiffsuntergänge eine bessere Überlebenschance hatten als Männer. Bei elf Katastrophen hatten sie hingegen schlechtere Chancen. Insgesamt überlebten die Unglücke knapp 18 Prozent der Frauen – bei den Männern lag diese Rate mit etwa 35 Prozent gut doppelt so hoch. Im Falle der Titanic hingegen überlebten 70 Prozent aller Frauen und Kinder, von den Männern schafften es nur 20 Prozent.

Immerhin: Seit dem Ersten Weltkrieg wird dieser Unterschied laut der Studie geringer. Dies könnte darauf hindeuten, dass Frauen in der Gesellschaft inzwischen größere Anerkennung erfahren. Entscheidend ist laut der Studie aber vor allem der Schiffskapitän: Wenn er die Männer während der Evakuierung explizit daran erinnerte, Frauen und Kinder zuerst zu retten, hielten sie sich wesentlich öfter daran. Wenn nicht, war sich jeder selbst der nächste.

Quelle:
Mikael Elinder und Oscar Erixson (2012). Every man for himself: Gender, Norms and Survival in Maritime Disasters.

5 Kommentare

  1. ist der überlebenswille jetzt etwas schlechtes? vorallem wenn es der eines mannes ist? jedes leben ist gleich viel wert. jemandem zu sagen: andere, die KEINE kinder sind oder sich nicht selbst helfen können, sollen vor dir, sagt man damit: das die überleben ist wichtiger als dein überleben.

  2. Oje. Wenn Frauen und Kinder nicht bevorzugt werden haben Männer eine höhere Überlebenschance. Das heißt nicht dass Männer egoistischer sind. Denn diese Aussage setzt doch voraus, dass es die Pflicht eines Mannes ist, sich für Frauen und Kinder aufzuopfern. Ist es aber nicht.

    Niemand kann verpflichtet werden sich selbst für andere zu opfern, es sei denn er ist diese Verpflichtung – wie z.B. Soldaten – gewissermaßen per Tätigkeitsbeschreibung frei eingegangen. Dass qua Geschlecht solch eine Verpflichtung entstünde wäre mir neu.

    Rational betrachtet wäre doch zu fordern, dass im Falle eines Unglücks nach bestem menschlichen Ermessen die Chancen maximiert werden sollte die größte Zahl an Menschen zu retten. Aus diesem Kalkül heraus ist aber die Aussage „Frauen und Kinder zuerst“ irrational. Denn es reduziert die Chancen der Stärksten ohne die Chancen der Schwächsten zu erhöhen.

    Die Regelung der Flugzeuge: Hilf zuerst Dir und dann den Anderen (achten Sie mal drauf!) ist da schhon besser.

  3. Hoppla, während des Kommentar schreibens hatte ich eine Tweet im Kopf, bei dem zu diesem Artikel das Wort Stress benutz wurde. Mein Fehler.

  4. Wie wichtig ein ehrenwerter Kapitä ist, wurde leider vor wenigen Wochen in Italien auf tragische Weise offenkundig. Abgesehen davon, ist die Überschrift nicht ganz passend gewählt. Todesangst statt Stresse würden dem Artikel mehr gerecht werden. Und dann könnte man das Verhalten der Männer eher nachvollziehen – ohne es schön reden zu wollen!

  5. Wir Frauen sind emanziepiert und gleichberechtigt, doch wenn es drauf ankommt sei doch mal ein Mann! – In der Tat ein Dilemma 😛

    Hat jemand schon mal die Aufforderung „Sei doch mal eine Frau“ gehört? Ich noch nicht 🙂

    Ich denke mal, die Zeiten ändern sich. Als so ein Wert wie Mut eines Mannes etwas zählte, konnte man von dem Titanic-Ergebnis ausgehen. Doch es ist vergleichsweise einfach, tapfer zu sein, wenn man das Sagen und somit die komplete Vernatwortung hat – anders ist es bei uns heute, nicht wahr?
    DANKE

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