Digitaler Herdentrieb – Ein „Like“ kommt selten allein

Wer im Internet seine Meinung kundtut, startet damit oft einen Domino-Effekt. Ein US-Forscher glaubt: Nutzer neigen dazu, positive Ansichten zu bestätigen – und negative Urteile zu korrigieren.

Egal ob sie einen Urlaub buchen, einen Film gucken oder ein Buch lesen wollen: Viele Kunden informieren sich vorab im Internet und lesen die Bewertungen anderer Nutzer. Aber wie beeinflussen die Kommentare des Kollektivs die Entscheidung des Einzelnen?

Dieser Frage widmete sich nun Sinan Aral, außerordentlicher Professor am Massachusetts Institute of Technology. Für seine Studie kooperierte er mit einer Nachrichtenwebsite – welche das war, behält Aral für sich, denn deren Betreiber bestehen auf Anonymität.

Die Nutzer der Seite können die Artikel nicht nur kommentieren. Sie dürfen diese Kommentare auch bewerten, mit einem „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“. Aus der Differenz zwischen positiven und negativen Urteilen errechnet die Seite eine Durchschnittsnote für jeden Beitrag.

Dieses System manipulierten die Seitenbetreiber im Auftrag der Wissenschaft. Fünf Monate lang, von Dezember 2010 bis Mai 2011, bekamen etwa 4000 Kommentare via Zufallsprinzip automatisch eine positive Wertung verpasst („+1“). Knapp 2000 Kommentare erhielten willkürlich eine negative Note („-1“), der Rest blieb ohne Punkt und diente als Kontrollgruppe.

Insgesamt klickten die Nutzer in dieser Zeitspanne alle Kommentare mehr als zehn Millionen Mal an, über 300.000 Mal bewerteten sie sie anschließend. Doch es gab einen erheblichen Unterschied.

Die automatisch positiv bewerteten Kommentare bestätigten die Nutzer meistens und vergaben daraufhin ebenfalls eine gute Note – und zwar 32 Prozent häufiger als in der Kontrollgruppe. Insgesamt steigerte die Manipulation die Zahl der positiven Kommentare im Verlauf des Experiments um 25 Prozent.

Anders war es bei den willkürlich negativen Kommentaren. Sie erhielten vom nachfolgenden Nutzer mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit eine positive Bewertung. Offenbar fühlten sich die Nutzer dazu berufen, die schlechte Note zu korrigieren.

Sinan Aral zufolge liegt das am social influence bias, also einer Verzerrung durch sozialen Druck: „Positive Meinungen häufen sich an und schaffen eine Art Bewertungsblase. Negative Meinungen werden vom Schwarm eher korrigiert und neutralisiert.“

Aber warum? Aral hält es für denkbar, dass die Nutzer bei positiven Bewertungen einfach mitziehen. Negativen Stimmen gegenüber sind sie offenbar wesentlich skeptischer – und zwar so sehr, dass sie sie eher korrigieren.

Das heißt aber gleichzeitig auch: Positive Bewertungen im Internet spiegeln nicht unbedingt die tatsächliche Meinung der Nutzer wieder – sondern sind womöglich schlicht das Resultat eines digitalen Herdentriebs.

Quelle:
Lev Muchnik, Sinan Aral und Sean Taylor (2013). Social Influence Bias: A Randomized Experiment. Science, Band 341.

8 Kommentare

  1. Das ist eigentlich gerade deshalb interessant, weil man auf Basis vieler anderer Studien eine Art Negativitäts-Verzerrung erwarten würde, also dass gerade die negativen Informationen besonders schwer ins Gewicht fallen. Ich habe allerdings auch schon ähnliche Erfahrungen gemacht (in Studien, die ich für Abschlussarbeiten durchgeführt habe) und mich auch schon gefragt, wie das z.B. mit anderen Phänomenen zusammenpasst, bei denen sich Negativmeinungen gegenseitig hochwiegeln und am Ende völlig eskalieren. Kommt wahrscheinlich u.a. extrem auf den Ton und das Thema an…

  2. „Es kann aber auch damit zu tun haben, dass “willkürlich” verteilte negative Bewertungen deshalb häufig korrigiert werden, weil es dann ja oft INHALTLICH keinen nachvollziehbaren Grund für die Bewertung gibt.“

    Aber das gilt doch für willkürlich positive Bewertungen auch – hier gibt es doch genauso wenig einen nachvollziehbaren Grund.

  3. Was ClaudiaBerlin da schreibt, wollte ich auch gerade einwenden: Sehe ich eine negative Bewertung, die ich so nicht teilen kann, dann gebe ich das so von mir. Das ist nur darauf zurückzuführen, dass ich die negative Meinung nicht teile.

  4. Es kann aber auch damit zu tun haben, dass „willkürlich“ verteilte negative Bewertungen deshalb häufig korrigiert werden, weil es dann ja oft INHALTLICH keinen nachvollziehbaren Grund für die Bewertung gibt.

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