Nachdem ich mich in der vergangenen Woche mit einer eher dunklen Seite des menschlichen Charakters beschäftigt habe, heute etwas Positives: Zehn psychologische Erkenntnisse zur Empathie.
Empathie macht stressresistent: Empathische Menschen können besser mit Stress umgehen, haben US-Forscher um Sarina Rodrigues von der Oregon State Universität in diesem Jahr entdeckt. Für ihre Studie durchliefen 200 Studenten verschiedene Tests. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass Probanden mit einer bestimmten Genvariante nicht nur empathischer waren – sie konnten in einem Stresstest auch besser mit nervlicher Belastung umgehen. Offenbar sorgt das Gen dafür, dass die Gefühle anderer Menschen besser verarbeitet und störende Eindrücke eher ausgeblendet werden.
Empathische Ärzte beschleunigen die Genesung: Ein guter Arzt ist immer auch ein guter Zuhörer – mit messbaren Vorteilen, wie David Rakel von der Universität von Wisconsin im vergangenen Jahr herausgefunden hat. Demnach erholen sich Patienten schneller von einer Grippe, wenn sie empathische Doktoren haben. Für seine Studie trug er 350 Teilnehmern auf, sich sofort bei dem Wissenschaftler und seinem Team zu melden, sobald sie erste Anzeichen eines Schnupfens bemerkten. Dann schickte Rakel sie zu Ärzten, die zuvor eine Anleitung bekommen hatten. Manchmal verhielten sie sich besonders nett, hörten aufmerksam zu und behandelten den Patienten besonders intensiv. In anderen Fällen bekamen die Patienten nur die Standard-Behandlung. Danach sollten sie bewerten, wie empathisch sie den Arzt empfunden hatten. Und siehe da: 84 Teilnehmer gaben ihrem Arzt Höchstnoten in puncto Empathie. Mehr noch: Genau diese Teilnehmer waren am schnellsten wieder gesund – im Schnitt sogar einen ganzen Tag früher als der Rest.
Die heutigen Studenten sind weniger empathiefähig: Das zumindest meint Sara Konrath von der Universität Michigan. Für ihre Studie (.pdf) wertete sie 72 Einzelstudien aus, die zwischen 1979 und 2009 die Empathiefähigkeit von über 14.000 Studenten getestet hatten. Ergebnis: Studenten sind heutzutage etwa 40 Prozent weniger einfühlsam als ihre Kommilitonen aus den Siebzigerjahren. Die heutigen Studenten können die Sichtweise ihrer Mitmenschen schlechter verstehen und hätten weniger Mitgefühl mit Notleidenden, so Konrath.
Romane steigern die Empathie: Ich habe mir vorgenommen, wieder mehr Romane zu lesen. Einer Studie von Raymond Mar zufolge wird das meine Empathiefähigkeit steigern. Im Jahr 2006 gab er 94 Personen eine Liste mit vielen Namen – darunter waren sowohl Autoren von Sachbüchern und Romanen als auch von normalen Bürgern. Die Freiwilligen sollten angeben, welche Autoren sie erkannten – und welche Art von Büchern sie schrieben. Danach testete Mar die Empathiefähigkeit der Probanden. Und siehe da: Je mehr Romanautoren die Teilnehmer identifizierten, desto besser schnitten sie im Empathietest ab. Interessanterweise galt für die Fans von Sachbüchern genau das Gegenteil: Je mehr solcher Autoren sie erkannten, desto geringer ihre Empathiefähigkeit.
Synästhetiker sind besonders empathisch: Kurz etwas aus der Abteilung „Unnützes Wissen“: Vier Prozent aller Menschen sind so genannte Synästhetiker. Das bedeutet: Sie nehmen einen Sinnesreiz gleich mehrfach wahr. Beispielsweise sind sie dazu in der Lage, Geräusche nicht nur zu hören, sondern auch Formen und Farben dazu zu sehen. Michael Banissy und Jamie Ward vom University College in London fanden in einer Studie 2007 heraus: Solche Synästhetiker sind auch besonders empathisch. Die Wissenschaftler gewannen zehn von ihnen für einen Test: Während einer der Forscher entweder deren linke oder rechte Wange berührte, sahen die Teilnehmer Bilder eines Gesichts, dessen Wange ebenfalls berührt wurde. Im Anschluss sollten die Probanden sagen, auf welcher Seite sie selbst berührt worden waren. Solange das Bild und die tatsächliche Berührung übereinstimmten, fiel den Testteilnehmern die Antwort nicht schwerer als einer Kontrollgruppe. Sahen die Synästhetiker jedoch eine Berührung auf der einen Seite, während sie selbst auf der anderen berührt worden waren, zögerten sie mit ihrer Antwort und machten mehr Fehler. Offenbar fühlte sich die beobachtete Berührung genau so real an wie eine tatsächliche, so das Fazit von Banissy und Ward.
Rassisten kennen keine Empathie. Zugegeben, diese Aussage ist nicht sonderlich überraschend. Und doch ist die aktuelle Studie von Alessio Avenanti von der Universität Bologna interessant – zeigt sie doch, dass die Gehirne von Rassisten offenbar anders ticken. Gemeinsam mit Kollegen zeigte Avenanti den Freiwilligen Filmaufnahmen, auf denen Hände zu sehen waren, die entweder mit einer Nadel verletzt oder mit einem Wattestäbchen zärtlich gestreichelt wurden. Währenddessen maßen die Wissenschaftler die Gehirnaktivitäten der Probanden. Und siehe da: Bei den normalen Versuchsteilnehmern wurden die Hirnareale aktiv, die für Emotionen und Schmerzempfinden zuständig sind. Doch als Avenanti rassistisch eingestellten Probanden Hände einer fremden Hautfarbe zeigte, blieben diese Reaktionen aus. Offenbar dominieren Vorurteile also auch das Gehirn – und verdrängen die Empathie.
Betonung verrät Empathie: Wer seine Zuhörer nicht einschläfern will, sollte seine Sätze vernünftig betonen. Glaubt man einer Studie von Lisa Aziz-Zadeh von der Universität von Southern California, beweist das auch Empathie. Sie maß die Gehirnaktivität von 20 Freiwilligen, während sie den sinnfreien Satz „Da da da da“ aussprachen und anhörten – die Herausforderung bestand darin, die Wörter mit verschiedenen Emotionen zu unterlegen. Dabei bemerkte Aziz-Zadeh, dass das so genannte Broca-Areal aktiviert wurde, eine Region des Sprachzentrums. Als Aziz-Zadeh im Anschluss die Empathiefähigkeit der Teilnehmer maß, kam heraus: Die höchsten Werte erzielten diejenigen, deren Gehirn die stärksten Ausschläge zeigte. Doch nicht nur das: Jene betonten ihre Aussprache auch im Alltag besonders deutlich.
Empathische Menschen sind einfühlsam – wortwörtlich: Es ist nicht leicht, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Genau das verlangte Sohee Park von der US-Uni Vanderbilt von den Teilnehmern einer Studie im Jahr 2009. Die Freiwilligen sollten sich in einem Experiment vorstellen, in welche Richtung der Arm einer Person zeigte – wer besonders empathisch war, löste die Aufgabe am Besten.
Das Gehirn ist von Natur aus empathisch: Etwa 100 Menschen weltweit leiden unter einer angeborenen Unempfindlichkeit für Schmerzen, der so genannten „Congenital Insensitivity to pain“. Der französische Neurophysiologe Nicolas Danziger konnte im vergangenen Jahr in einer Studie zeigen: Selbst die Gehirne solcher Personen sind empathiefähig. 13 Betroffene sahen Videos, in denen sich Menschen verletzten oder schmerzhafte Gesichtsausdrücke machten. Selbst wenn die Testpersonen noch nie Schmerz empfunden hatten, verursachte der Anblick fremder Schmerzen eine Reaktion im Gehirn – und zwar der Regionen, die für das Schmerzempfinden zuständig sind.
Empathische Menschen haben ein gutes Geruchsgedächtnis: Einfühlsame Menschen haben offenbar auch gute Nasen. Das resümierten Wen Zhou und Denise Chen von der Rice Universität in Houston im Jahr. In einer Studie erklärten sich 44 Studenten zu einem etwas abenteuerlichen Experiment bereit. Sie sollten zwei Mal an jeweils drei T-Shirts schnüffeln – und dann das Shirt benennen, das ihrem Zimmergenossen gehörte. Danach wurden die Teilnehmer in drei Gruppen unterteilt – 21 hatten es in zwei Versuchen nicht geschafft, das richtige T-Shirt auszuwählen, 10 hatten einmal richtig gelegen und 13 sogar beide Male. Danach durchliefen alle einen Empathietest – und am Besten schnitten jene 13 Teilnehmer ab, die das Shirt zwei Mal richtig erkannt hatten.
Auch wenn der Artikel schon etwas älter ist, so ist er doch immer noch sehr interessant – danke dafür!
Eine Frage habe ich jedoch. Empathie hängt ja auch entscheidend von den Spiegelneuronen ab. Wie ich es verstanden habe, hängt die Empathiefähigkeit also auch von der Hirnstruktur ab. Ist die Anzahl der Spiegelneuronen genetisch festgelegt oder kann sich diese je nach Lernverhalten und Umwelteinflüssen verändern?
Empathiefähigkeit lässt sich ja angeblich trainieren. Da frage ich mich, ob man anhand von Modellen das Erkennen und Schlussfolgern über Verhaltensmuster einer Person trainieren kann und sozusagen „nur“ kognitiv empathischer wird oder kann man auch echte / gefühlsmäßige Empathie trainieren?
Hallo Daniel et all,
es gibt noch weitere Studien, die eine positive Korrelation zwischen Empathie und Heilung bzw. in der Palliativmedizin einer Verlängerung des Lebens beweisen. Folgend eine kurze Auflistung: http://www.empathiegarten.de/empathie-studien
Gruß
Jürgen
Ein interessanter Artikel!
Ich glaube, dass sich empathische Menschen nicht nur gut Gerüche einprägen können, sondern auch die jeweiligen Handschriften ihrer Mitmenschen. Selbst im Zeitalter der Digitalisierung. 😉 Gibt es dazu auch Studien?
Herzliche Grüße!
Janett
Ich würde Sven bei seiner Einschätzung zustimmen. Ich denke nicht, dass man zwangsläufig durch das Lesen von Romanen empathischer wird und durch das Lesen von Sachbüchern zwangsläufig weniger empathisch. Es wird wohl eher so sein, dass „Empathie haben“ und „Romane lesen wollen“, bzw. „keine Empathie haben“ und „Sachbücher lesen wollen“ auf gemeinsame Charakterzüge zurückgehen.
Das wird, denke ich, auch für die Stressresistenz gelten. Mehr Empathie und mehr Stressresistenz gehen, der Studie entsprechend, beide auf ein Gen zurück. Wenn ich jetzt aber beginne, Empathie zu trainieren, muss sich nicht automatisch auch meine Stressresistenz verbessern.
Ansonsten eine sehr schöne, übersichtliche Zusammenstellung – vielen Dank dafür!
@Anna:
1. Hier bei Punkt 1 (mit schönem Video): https://www.alltagsforschung.de/ich-ich-10-psychologische-fakten-uber-egoismus/
2. http://esciencenews.com/articles/2010/11/08/fearless.children.show.less.empathy.more.aggression
3. http://esciencenews.com/articles/2008/07/11/children.are.naturally.prone.be.empathic.and.moral
4. http://www.time.com/time/health/article/0,8599,1982190,00.html
Gibt es auch eine Studie über Empathie und Kinder (im frühkindlichen Alter) und eventuell ein Vergleich zu Einzelkindern?
Warum Empathie wichtig ist: http://bit.ly/gzX5LV
Laut einer Studie betonen empathische Menschen ihre Aussprache besonders deutlich: http://bit.ly/czZEj9
RT @Lachtrainer: RT @danielrettig: Die Psychologie der Empathie http://bit.ly/dA3X8S
RT @Lachtrainer: RT @danielrettig: Die Psychologie der Empathie http://bit.ly/dA3X8S
RT @danielrettig: Die Psychologie der Empathie http://bit.ly/dA3X8S
Die #Psychologie der #Empathie http://tinyurl.com/292zh37
Ich habe die entsprechende Studie nicht gelesen. Doch die Frage, ob Romane empathischer Machen finde ich interessant.
Mein erster Gedanke war, gerade im Hinblick auf das Ergebnis bei Sachbüchern, dass es doch auch nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit entbehrt, dass empathischere Menschen eher zu Romanen hingezogen werden, da sie die dort beschriebenen Gefühle der Handelnden nachempfinden können. Weniger empathische Menschen finden sich möglicherweise besser in Sachthemen zurecht und neigen daher zu Sachbüchern.
Nur als kleine Anmerkung zur Frage, ob Romane empathischer machen, oder empathischere Menschen eher zu Romanen neigen.
Gruß aus Hamburg
Die Psychologie der Empathie – Zehn psychologische Erkenntnisse zur Empathie (via @danielrettig) http://ping.fm/329xr
Die Psychologie der Empathie http://bit.ly/aBHoJl #alltagsforschung