Fleischfresser – Warum wir Tiere essen

Man muss kein Vegetarier sein, um Tiere zu lieben – und dennoch essen selbst Tierliebhaber gerne Fleisch. Die Frage ist nur: Wie ist das möglich? Eine neue Studie weiß warum.

Schauen Sie mal auf das Lämmchen rechts im Bild – haben Sie nur ein Fünkchen Tierliebe im Herzen, denken Sie jetzt vermutlich: Wie süüüüß! Mal ehrlich: Können Sie sich vorstellen, das kleine Lamm eines Tages auf dem Grill oder in der Pfanne zu brutzeln und zu verspeisen? Vermutlich nein.

Wer kein Vegetarier ist, steht häufig vor einem Gewissenskonflikt: Einerseits mögen die meisten Menschen Tiere gut leiden und wollen ihnen keinen Schaden zufügen – dennoch verzichten sie ungern auf ein saftiges Rindersteak oder knuspriges Schweineschnitzel. Da stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit diesem Zwiespalt um?

Zum Beispiel durch pure Ignoranz: Wir denken lieber gar nicht erst darüber nach, wie das Fleisch auf unseren Teller kam, oder unter welchen Umständen Kuh, Lamm, Rind oder Schwein gestorben sind. Doch der australische Psychologe Brock Bastian von der Universität von Queensland in Australien geht jetzt noch ein Stück weiter: Er ist davon überzeugt, dass Fleischesser erhebliche geistige Anstrengungen unternehmen, um mit dem Widerspruch zwischen Tierliebe und Fleischkonsum klarzukommen. Zu diesem Ergebnis kommt Bastian in einer neuen Studie, die in der Oktoberausgabe des Fachjournals „Personality and Social Psychology Bulletin“ erschienen ist.

Tierische Gefühle

Im ersten Experiment sollten 71 Studenten 32 verschiedene Tierarten bewerten – und zwar einerseits Tiere, die in westlichen Kulturen recht häufig auf dem Teller landen, also beispielsweise Hühner, Kühe oder Lämmer; andererseits aber auch solche, die für den westlichen Gaumen eher untypisch sind, etwa Hunden, Katzen oder Ratten. Dabei sollten die Probanden angeben, ob sie den Tieren geistige Fähigkeiten zutrauten, die sonst hauptsächlich Menschen zugeschrieben werden – darunter Angst oder Freude, aber auch Moral, Selbstkontrolle oder Erinnerungsvermögen.

Im Anschluss sollten sie sagen, ob sie die einzelnen Arten essen würden. Wenig überraschend: Je mehr „Geist“ sie einem Tier zutrauten, desto seltener wollten sie es verspeisen – und desto schärfer verurteilten sie dessen Verzehr.

Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften, die wir einem Tier zubilligen, und unserem Appetit. Aber wieso essen wir dann trotzdem Fleisch – auch von jenen Tieren, denen wir Gefühle noch am ehesten zutrauen?

Dieser Frage widmete sich Brock Bastian in einer weiteren Studie. Darin sollten 66 Personen im Alter zwischen 17 und 52 einen Fragebogen ausfüllen. Doch vorher teilte der Psychologe die Freiwilligen in zwei Gruppen: Gruppe A sah auf der ersten Seite des Fragebogens eine Kuh oder ein Schaf auf einer Wiese. Ein Text suggerierte den Probanden, dass das Tier sein ganzes Leben auf unterschiedlichen Weiden verbringe und den ganzen Tag mit Artgenossen Gras mampfe. Bei Gruppe B hingegen prangte das Foto von Kuh oder Schaf auf der letzten Seite des Fragebogens – und noch dazu war die Schilderung eine völlig andere: Das Tier werde eines Tages zum Schlachthof gebracht, getötet, ausgenommen und in verschiedenen Packungen im Supermarkt liegen.

Nun sollten alle Probanden wieder angeben, welche geistigen Fähigkeiten sie den beiden Tieren zutrauten – und siehe da: Als Bastian die Ergebnisse miteinander verglich, bemerkte er erhebliche Unterschiede. Gruppe B traute den Tieren wesentlich weniger „Geist“ zu als Gruppe A. Offenbar sorgte die bildhafte Erinnerung an das Schicksal des Tieres dafür, ihm mentale Kapazitäten abzusprechen. Eine ähnliche Reaktion zeigten auch die Probanden im letzten Experiment: Wer davon ausging, in Kürze Fleisch zu konsumieren, leugnete besonders stark, dass die Tiere über irgendwelche menschlichen Eigenschaften verfügten.

Brock Bastian vermutet hinter dieser Reaktion einen bewussten Prozess. „Wer Tiere isst, gerät mit seinem Gewissen in Konflikt“, so Bastian. Wenn wir den Tieren mentale Fähigkeiten absprechen, dann reduzieren wir dadurch das unangenehme Gefühl kognitiver Dissonanz. So nennen Psychologen vereinfacht gesagt den geistigen Zwiespalt, der immer dann auftritt, wenn unsere Handlungen nicht mit unseren Überzeugungen übereinstimmen. Denn wir sind zwar überzeugt davon, Tiere zu lieben, dennoch essen wir Fleisch – und Bastian Studie zeigt warum. Na dann: Guten Appetit.

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