Viele Menschen scheuen sich davor, eine Deadline nach hinten zu verschieben – weil sie einer Illusion unterliegen: Letztendlich ist es wichtiger, eine Aufgabe sorgfältig zu erledigen als schnell.
Im Prinzip ist so eine Deadline eine prima Sache. Wer schon vorher genau weiß, wann er mit einer Aufgabe fertig sein muss, schützt sich selbst vor zu viel Müßiggang, Zeitverschwendung und Disziplinlosigkeit.
Das Problem ist bloß: Viele Zeitpläne erweisen sich im Nachhinein als zu optimistisch.
Wie schön, dass es meistens immerhin die theoretische Möglichkeit gibt, eine Deadline nach hinten zu verschieben und bei Kunden, Vorgesetzten und Auftraggebern um Aufschub zu bitten. Praktisch jedoch schrecken viele Menschen davor zurück.
Aber warum?
Eine Antwort auf diese Frage suchte nun Ashley Whillans, Assistenzprofessorin an der Harvard Business School. Und in ihrer Studie, die in der Januar-Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Experimental Social Psychology“ erscheint, liefert sie eine Antwort.
Whillans konzipierte insgesamt fünf Experimente mit mehr als 4100 Probanden. Dabei mussten die Teilnehmer verschiedene Aufgaben lösen, die im Anschluss von einem Experten begutachtet wurden – und von dessen Begutachtung hing die Belohnung ab.
Allerdings hatte Whillans die Aufgaben bewusst so konzipiert, dass die zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte. Wie gut, dass alle Probanden die Chance bekamen, die Abgabefrist um ein paar Minuten zu verlängern. Nahmen sie dieses Angebot wahr? Mitnichten.
Vor allem wenn sie glaubten, dass der Experte von dieser Verlängerung erfuhr, verzichteten sie lieber darauf – mit dem Ergebnis, dass ihre Arbeit nur noch mehr in Stress ausartete. Wenn Whillans ihnen versprach, dass der Gutachter nichts von der verschobenen Deadline erfuhr, ließen sich mehr Probanden darauf ein.
Die Forscherin vermutet: Viele scheuen sich deshalb davor, nach einer neuen Deadline zu fragen, weil sie einen Imageschaden befürchten. Menschen wollen nun mal kompetent erscheinen, und in der modernen Arbeitszeit gilt Schnelligkeit und der kluge Einsatz von Arbeitszeit als Zeichen ebendieser Kompetenz.
Aber ist diese Denkweise überhaupt berechtigt? Werten Vorgesetzte die Bitte nach einer neuen Deadline tatsächlich negativ?
Von wegen.
Als Ashley Whillans die Arbeiten bewerten ließ und außerdem Führungskräfte nach ihren Erfahrungen fragte, stellte sie fest: Den Führungskräften war es viel wichtiger, dass die Arbeit sorgfältig erledigt wurde – und nicht so schnell wie möglich. Mehr noch: Jene Teilnehmer, die länger gebraucht hatten, bekamen mitnichten schlechtere Bewertungen – sondern mitunter sogar bessere, weil sie als besonders gewissenhaft galten.
Und nicht zuletzt zeigt die Bitte nach einer längeren Deadline ja eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Lieber einmal länger brauchen als hinterher zu spät dran zu sein – oder eine schlampige Arbeit abzugeben.
Quelle:
Ashley Whillans et al (2022). People overestimate the self-presentation costs of deadline extension requests. In: Journal of Experimental Social Psychology, Band 98