Verzögerungsgenuss – Ist Vorfreude wirklich am schönsten?

Vorfreude ist angeblich die schönste Freude überhaupt. Von wegen, meint ein belgischer Psychologe: Ob wir beim Eintreten eines Ereignisses wirklich glücklich sind, hängt demnach vor allem von unserer Persönlichkeit ab.

Jordi Quoidbach von der Universität von Lüttich gewann für seine Studie (.pdf), die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, 250 Belgier. Bereits im Oktober 2008 wollte er von ihnen wissen, ob sie bei der anstehenden Präsidentschaftswahl in den USA Barack Obama oder John McCain die Daumen drückten. Eindeutiges Ergebnis: 98 Prozent waren für Obama.

Außerdem sollten die Probanden eine Aussage darüber treffen, wie sie sich nach der Prasidentschaftswahl fühlen würden – ob sie also eher mit Glück und Zufriedenheit oder Frust und Traurigkeit rechneten. Mit anderen Worten: Sie sollten verraten, wie groß ihre Vorfreude war. Am 5. November – genau einen Tag nach Obamas Sieg – befragte Quoidbach die Teilnehmer erneut. Nun sollte man ja davon ausgehen, dass die Obama-Fans zumindest ansatzweise gute Laune versprühten. Denkste.

Quoidbach testete die Zufriedenheit der Probanden und unterzog sie verschiedenen Personlichkeitstest. Und siehe da: Von den Obama-Fans waren gar nicht alle glücklich und zufrieden. Zwar hatten sie vorhergesagt, im Falle seines Sieges Freude zu empfinden – unabhängig von ihrer Persönlichkeit. Aber längst nicht alle hatten mit ihrer Prognose Recht gehabt.

Ob sie richtig lagen, hing vielmehr mit ihrer Persönlichkeit zusammen. Diejenigen Probanden mit einer starken Neigung zu Neurotizismus – also ängstliche, nervöse oder unsichere Menschen –  hatten ihre Glücksgefühle völlig überschätzt. Sie waren davon ausgegangen, dass ihnen Obamas Sieg enorme Freude bereiten würde – allerdings hatten sie dabei ihren Hang zu negativem Denken vergessen. So wurden sie am Ende eher enttäuscht.

Ganz anders hingegen das Bild bei den Optimisten: Sie schätzten ihr Glücksgefühl im Falle des Wahlsiegs völlig realistisch ein – und wurden umso seltener enttäuscht. Auch wenn es seltsam klingt: Quoidbachs Studie zufolge sehen Optimisten die Welt viel weniger durch eine rosarote Brille. Sie sind sozusagen die besseren Realisten.

Der Wissenschaftler erklärt sich den Unterschied mit unserem Gedächtnis. Das Wissen über unsere Eigenarten sei im so genannten semantischen Gedächtnis abgespeichert, während eine Simulation zukünftiger Gefühle eher im episodischen Gedächtnis stattfinde. Diese Unterschiede sorgen demnach dafür, dass wir unsere Vorfreude auf ein bestimmtes Ereignis häufig falsch einschätzen – und so letztlich enttäuscht werden.

Die Erkenntnisse aus Quoidbachs Studie gelten natürlich nicht nur für den Ausgang einer Wahl – sondern für jedes Ereignis, auf das wir uns besonders freuen. Nehmen wir zum Bespiel einen lange ersehnten Urlaub. Die Optimisten unter uns müssen sich wahrscheinlich nicht so lange mit den Details beschäftigen – sie können sich dem Verzögerungsgenuss hingeben und von Spaziergängen am Strand oder klarem Meerwasser träumen.

Alle anderen sollten ihre Erwartungen besser zurückschrauben. Bei ihnen ist die Vorfreude vielleicht besonders groß – aber im Endeffekt führt sie nur zu herben Enttäuschungen.

[via Full Frontal Psychology]

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