Bei jeder Entscheidung haben Menschen Angst, etwas zu verlieren. Es sei denn, sie handeln stellvertretend für jemand anderen. Eine neue Studie resümiert: Entscheidungen für fremde Personen senken die Verlustangst.
Angenommen, Sie haben zwei Möglichkeiten. Option A: Sie finden zufällig 100 Euro auf der Straße. Option B: Sie können gerade noch verhindern, dass ein 100-Euro-Schein aus Ihrem Portemonnaie purzelt.
Was wäre Ihnen lieber – einen Gewinn zu verbuchen oder einen Verlust zu vermeiden? Die meisten Menschen sagen sofort: B!
Das ist das Prinzip der Verlustaversion (loss aversion). Und die prägt uns in vielen Bereichen, egal ob im Berufs- oder Privatleben. Den meisten graut es vor einem Verlust. Negative Ereignisse erscheinen uns intensiver als positive. Stellt man Menschen vor die Wahl, gehen sie lieber auf Nummer sicher – es sei denn, sie treffen die Entscheidung stellvertretend für eine andere Person.
So lautet zumindest das Fazit einer neuen Studie des Assistenzprofessors Evan Polman von der Stern School of Business in New York. Er beschäftigt sich schon seit ein paar Jahren damit, wie sich ein Perspektivwechsel auf unsere Entscheidungen auswirkt.
In einer Untersuchung vor einigen Monaten fand Polman zum Beispiel heraus: Menschen bevorzugen mehr Auswahl, wenn sie ihre Entscheidung für jemand anderen treffen müssen – und weniger Auswahl, wenn sie für sich selbst entscheiden.
Nun klingt das noch relativ harmlos. Doch es gibt zahlreiche Bereiche, in denen die handelnden Personen mit ihren Entscheidungen das Leben anderer Menschen erheblich prägen: Der Vorstandsvorsitzende entscheidet für den Mitarbeiter, der Anlageberater für den Kunden, der Anwalt für den Klienten, der Politiker für den Bürger, der Arzt für den Patienten, der Lehrer für den Schüler. Und bei diesen Entscheidungen, sagt Polman, sinkt die Verlustaversion ganz erheblich.
Zu diesem Ergebnis kam er in insgesamt acht Studien, bei denen er Hunderte von Probanden jeweils in zwei Gruppen aufteilte. Die einen sollten für sich selbst entscheiden, die anderen für eine fremde Person.
In einem Experiment bekamen 45 Studenten zunächst sieben US-Dollar für ihre Teilnahme geschenkt. Dann stellte Polman ihnen eine Lotterie in Aussicht, bei der ein Gutschein der Kreditkartenfirma Visa im Wert von 25 Dollar winkte. Nun lenkte er sie kurz mit einigen Aufgaben ab, danach sollte die Lotterie starten.
Doch vorab mussten sie sich entscheiden, was ihnen lieber sei: Wollten sie im Falle des Gewinns den 25-Dollar-Gutschein von Visa behalten? Oder wollten sie ihn vielleicht für einen Visa-Gutschein in Höhe von 40 Dollar eintauschen? Oder doch lieber für einen Mastercard-Gutschein in Höhe von 40 Dollar?
Hier zeigt sich im Normalfall wieder die Macht der Verlustaversion. So seltsam es auch klingt, aber die meisten Probanden entscheiden sich für den Visa-Gutschein von 40 Dollar. Den Mastercard-Gutschein von 40 Dollar hingegen ignorieren sie lieber, denn ihn sehen sie als Verlust. Denn: Sie haben dafür ja den Visa-Gutschein sausen lassen.
Genau so reagierten auch Polmans Probanden – aber nur dann, wenn es um ihr eigenes Leben ging. Trafen sie die Entscheidung stellvertretend für eine andere Person, entschieden sie sich nicht häufiger für den Visa-Gutschein.
Dasselbe Verhalten zeigte auch die Freiwilligen in sieben weiteren Studien. Egal ob es um Glücksspiel oder finanzielle Entscheidungen ging: Betrafen die Entscheidungen das eigene Leben, war der Schmerz des Verlustes mächtiger als die Aussicht auf einen Gewinn. Ging es um das Leben einer anderen Person, setzte dieser Effekt aus.
Nach Ansicht von Evan Polman eine gute Gelegenheit, sich noch einmal an die „Goldene Regel“ von Konfuzius zu erinnern: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
Quelle:
Evan Polman (2012). Self–other decision making and loss aversion. In: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 119, Seite 141–150.
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