Langsamer Abstieg – Roger Federer und der Superstar-Effekt

Beim aktuellen Wimbledon-Turnier ist Roger Federer erneut im Viertelfinale gescheitert, sein langsamer Abstieg scheint inzwischen unvermeidbar. Was das mit einem Phänomen namens Superstar-Effekt zu tun hat.

Beginnen wir mit einem Geständnis: Ich verehre Roger Federer. Über die Maßen. Schon seit Jahren. Deshalb habe ich mich auch gefreut wie ein kleines Kind, als mir eine Schweizer Bekannte, die über Freunde von Freunden von Freunden Kontakt zu Federer hat, zu meinem Geburtstag vor einigen Wochen eine von Federer signierte Kappe schenkte. „Für Daniel“, hatte er neben sein Autogramm geschrieben. Ein Echtheitszertifikat war auch dabei, sozusagen als Bestätigung dafür, dass Federer die Mütze tatsächlich selbst unterschrieben hatte. An dem Tag, als ich die Kappe erhielt, wurde ich 30 – und freute mich wie ein Dreijähriger.

Wahrscheinlich hat meine Begeisterung für Federer auch damit zu tun, dass ich große Teile meiner Jugend ebenfalls auf einem Tennisplatz zugebracht habe. Daher kann ich zumindest ansatzweise einschätzen, wie schwierig es ist, Tennis so leicht, locker und filigran aussehen zu lassen wie Federer es tut. Hinter allem, was leicht aussieht, steckt sehr viel Arbeit.

Der Schriftsteller David Foster Wallace hat sich vor einigen Jahren ebenfalls mit einer Ode an Federer gewendet. Ihm beim Spielen zuzuschauen sei eine „religöse Erfahrung“, schrieb Wallace in der New York Times: „Fast jeder Tennisfan hatte in den vergangenen Jahren diese Federer-Momente“, so Wallace, „diese Augenblicke, in denen einem die Kinnlade herunterfällt, die Augen herausragen und man Geräusche von sich gibt, dass der Partner sich schon Sorgen macht“. Leider werden diese Momente immer seltener.

Im Spätherbst

Vor zwei Tagen ist Federer bereits zum zweiten Mal in Folge beim Turnier von Wimbledon im Viertelfinale ausgeschieden. Mehr noch: Zum allerersten Mal in seiner Karriere verlor er ein Spiel nach einer 2:0-Satzführung. Es scheint, als sei Federer inzwischen im Spätherbst seiner Karriere angekommen – und das liegt zu einem Gutteil auch daran, dass er nicht mehr vom so genannten Superstar-Effekt profitiert.

Diesen Begriff kreierte vor einigen Jahren Jennifer Brown, Professorin an der renommierten Kellogg School of Management in Chicago. Im Jahr 2008 wertete sie für ein Arbeitspapier (.pdf) die Statistiken sämtlicher Golfturniere der US-Profiliga PGA von 1999 bis 2006 aus, an denen auch Tiger Woods teilnahm. Fazit: Allein die Anwesenheit des Ausnahmetalents schien seine Konkurrenten negativ zu beeinflussen. Wenn sie gegen ihn antreten mussten, litt ihre Leistung. Im Schnitt brauchte jeder der anderen Weltklassespieler 0,8 Schläge mehr als sonst – in diesen Sphären ein enormer Unterschied.

Ist das nicht seltsam? Es handelte sich hier keinesfalls um Hobbyathleten, sondern austrainierte Spitzensportler mit jahrelanger Erfahrung. Man würde erwarten, dass sie die Anwesenheit des damals größten Golfstars besonders anspornen würde – denn es ist die Chance, der Welt zu zeigen, dass so ein Tiger Woods nicht unschlagbar ist. Doch genau das Gegenteil trat ein: Woods’ Präsenz schüchterte seine Mitspieler ein und ließ sie körperlich und mental verkrampfen. Der Superstar-Effekt eben.

Zwar dreht sich Browns Studie um Golf, aber die Ergebnisse lassen sich auch auf Roger Federer übertragen. Auch er profitierte in den vergangenen Jahren nicht nur von seiner eigenen Stärke – sondern auch davon, dass er außer auf Sand als gewissermaßen unbesiegbar galt.

Das führte nicht nur dazu, dass er in den entscheidenden Situationen immer genau die richtige Entscheidung traf; dass er auf dem Platz über einen fast übersinnlichen siebten Sinn verfügte, der ihm verriet, wo sein Gegner den Ball als nächstes hinschlagen würde; sondern auch dazu, dass seine Gegner in den entscheidenden Momenten eben versagten. Ein Spieler ist immer nur so gut, wie es sein Gegner zulässt – und Federers Gegner ließen es zu.

Damals zumindest. Mittlerweile, so scheint es zumindest, verblasst dieser Zauber. Die Gegner glauben nicht mehr an Federers Unbesiegbarkeit. Der Superstar-Effekt verpufft.

Die Löwen

Holger Gertz von der „Süddeutschen Zeitung“ hat vor kurzem eine lesenswerte Reportage anlässlich des Abschieds von Michael Ballack aus der Fußball-Nationalmannschaft geschrieben. Dort erklärte er, warum die jungen Spieler, er meinte Mesut Özil, Sami Khedira oder Bastian Schweinsteiger, inzwischen an Ballack vorbeigezogen sind.

Sie hätten Ballacks Spiel „sehr aufmerksam“ beobachtet: „Sie sind, auch wenn sie nicht mehr so viel brüllen wie die Generationen früher, immer auch wie Löwen“, schrieb Gertz, „ihnen entgeht nicht, wenn ein Alter nicht mehr richtig kann“.

Viel schöner kann man nicht ausdrücken, was gerade auch Roger Federer passiert.

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