Können gönnen – Wie Stereotype unsere Leistung beeinflussen

Vermitteln Lehrer oder Vorgesetzte Ihnen das Gefühl, besonders begabt zu sein? Oder halten die Sie eher für weniger talentiert? Wie andere über uns denken, wirkt sich erheblich auf unsere Leistung aus – sowohl positiv als auch negativ.

Im Jahr 1963 erhielt der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal einen ungewöhnlichen Brief. Kurz zuvor hatte er sich in einer Studie Gedanken über wissenschaftliche Experimente gemacht – und die These vertreten, dass sich die Erwartungen der Versuchsleiter auf die Antworten der Versuchspersonen auswirken könnten.

Doch er vermutete, dass diese selbst-erfüllende Prophezeiung womöglich auch in Schulen gelte. Genauer gesagt: dass die Erwartungen der Lehrer die Leistungen der Schüler prägten.

Die Grundschuldirektorin Lenore Jacobson aus San Francisco fand diese Vorstellung faszinierend – und schrieb Rosenthal einen Brief. Darin schlug sie dem Wissenschaftler vor, seine These doch mal in der Wirklichkeit zu testen. In ihrer Schule. Einige Monate später starteten sie gemeinsam eine Studie, die in die Geschichte der Sozialpsychologie einging.

Darin gaben sie den Lehrern die Namen von Schülern in insgesamt 18 Klassen und teilten ihnen mit, dass diese besonders begabt seien. In Wahrheit stimmte das allerdings gar nicht, Rosenthal und Jacobsen hatten diese Schüler via Zufallsprinzip ausgewählt.

Acht Monate später absolvierten nun alle Schüler verschiedene Intelligenztests. Kaum zu glauben: Jene angeblich talentierten Schüler schnitten darin wesentlich besser ab: „Wenn Lehrer daran glauben, dass Schüler gut abschneiden und sich intellektuell weiterentwickeln, dann geschieht das auch. Wenn die Lehrer daran nicht glauben, geschieht es nicht“, schrieb Rosenthal. Offenbar behandelten sie die vermeintlich begabten Schüler anders – und das wirkte sich auch auf deren tatsächliche Leistung aus.

Dieser Mechanismus ist heute als Rosenthal-Effekt bekannt. Und er lehrt, dass Erfolg nicht nur aus Können resultiert. Sondern vor allem auch daraus, was wir uns andere Personen zutrauen. Oder eben nicht.

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Egal ob hell- oder dunkelhäutige Kinder in der Schule oder Männer und Frauen am Arbeitsplatz – die Bedingungen sind eigentlich für alle gleich. Dieselben Bücher und Lehrer hier, dieselben Aufgaben und Vorgesetzten dort. Uneigentlich funktioniert das so nicht.

Die beiden US-Professoren Claude Steele und Joshua Aronson gelten als Entdecker der Bedrohung durch Stereotype (stereotype threat). Dahinter verbirgt sich gewissermaßen der fiese Bruder des Rosenthal-Effekts.

Dutzende von Studien konnten inzwischen zeigen: Schüler, Studenten und Angestellte lassen sich von negativen Stereotypen negativ beeinflussen. Wer Mädchen vorgaukelt, dass Frauen generell schlechter in Mathematik sind, mindert ihre Leistung in einem anschließenden Test. Legt man dunkelhäutigen Schülern nahe, dass hellhäutige Menschen intelligenter seien, schlagen sie sich in einem IQ-Test schlechter.

Aronson nennt dieses Phänomen „situationsbedingte Dummheit“. Kern des Problems ist, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Und selbst wenn er allein in einem Klassenraum oder Büro sitzt, prägen ihn die Meinungen, die andere von ihm haben – oder vorgeben zu haben. Glaubt er an seine intellektuellen Fähigkeiten, wirkt sich das positiv aus. Geht er davon aus, nicht zu den hellsten Kerzen auf dem Kuchen zu gehören, leidet die Leistung.

Was kann man dagegen tun?

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Die beiden Psychologen Steven Stroessner und Catherine Good haben auf ihrer Internetseite Reducingstereotypethreat.org eine umfangreiche Liste mit Tipps zusammengestellt. Darunter:

1. Selbstbestätigung. Die Menschen sollten sich ihre eigenen positiven Eigenschaften, Fähigkeiten und Werte in Erinnerung rufen – um sich vor den Auswirkungen vermeintlicher Stereotype zu schützen.

2. Inspiration. In einer Studie schlugen sich Frauen in einem Mathetest genau so gut wie Männer – aber nur dann, wenn der Test von einer Frau ausgeteilt wurde, die angeblich gut in Mathe war. Schon ein einziges Vorbild, das die Vorurteile zu widerlegen scheint, verbessert die Leistung.

3. Orientierung. Die renommierte Psychologin Carol Dweck ist davon überzeugt, dass es zwei Arten von Menschen gibt: Jene mit einem statischen Selbstbild (fixed mindset) gehen davon aus, dass Intelligenz und Talent angeboren sind. Wer hingegen über ein dynamisches Selbstbild (growth mindset) verfügt, lebt nach dem Motto „Übung macht den Meister“. Er lässt sich von Hindernissen anspornen, will Fehler nutzen und daraus lernen – und lässt sich deshalb selbst von negativen Vorurteilen nicht ablenken.

4 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Macht dann ein Bewertungssystem in der Schule überhaupt noch Sinn? Es wird ja dann nicht der Schüler sondern eher das Vorbildsein des Lehrers bewertet. Wenn Schüler an einen unzuträglichen Lehrer gelangen, ist es für sie in der Regel gelaufen …
    Hier noch weitere Kritiküpunkte zu unserem Schulsystem, die zeigen, wie wir unsere Kindern so verdummen lassen:
    http://faszinationmensch.wordpress.com/2012/01/22/kritik-an-unserem-schulsystem-daruber-wie-wir-unsere-kinder-verdummen/
    Und als Gegensatz noch eine Sammlung von Schulen, die es besser machen:
    http://faszinationmensch.wordpress.com/2011/11/17/so-sollte-schule-funktionieren-uber-erfahrungsraume-im-umgang-mit-unvorhersehbarem-und-ubernahme-von-verantwortung/
    Viele Grüße
    Martin

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