Wer nie an sich denkt, sondern immer nur an andere denkt, wird niemals reich – soweit ein Klischee. Aber wirkt sich unser Sozialstatus tatsächlich auf unser Verhalten aus? Sind Reiche egoistischer?
Es kommt öfters vor, dass Zeitungen Artikel von Gastautoren veröffentlichen – allerdings schreibt solche Texte selten einer der reichsten Männer der Welt. Schon allein deshalb ist es bemerkenswert, dass der Milliardär Warren Buffett vor zwei Tagen einen Artikel in der New York Times veröffentlichte. Viel bemerkenswerter ist jedoch die Aussage des Textes.
Buffett hält darin ein flammendes Plädoyer dafür, Superreiche wie ihn nicht länger steuerlich zu begünstigen. Es sei ein Ammenmärchen, dass Investoren wegen hoher Steuern auf lohnende Geschäfte verzichten oder deswegen automatisch Arbeitsplätze abbauen würden. Seine Kernthese: „Hört auf, die Reichen zu verhätscheln.“
Keine Frage, solche Aktionen überraschen uns – weil wir reichen Menschen so viel Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit gar nicht zutrauen. Frei nach dem Motto: Wer immer nur an andere denkt, kann unmöglich an so viel Geld gelangen. Aber stimmt dieses Klischee? Wirkt sich der Rang in der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Hackordnung tatsächlich auf unser Verhalten aus? Sind Reiche egoistischer?
Diese Frage stellten sich vor knapp einem Jahrzehnt auch die beiden US-Psychologen Dacher Keltner und Michael Kraus. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt in einer Studie zusammengefasst, die in der August-Ausgabe der Fachzeitschrift „Current Directions in Psychological Science“ erschienen ist. Die Kernbotschaft bestätigt das Klischee: Menschen mit hohem sozialen Status sind egoistischer – tendenziell zumindest.
Für ihre Untersuchung konzipierten Keltner und Kraus eine Reihe verschiedener Experimente. In einem davon fragten sie Studenten, welcher Schicht sie sich zugehörig fühlten. Danach sollten die Probanden eine Aussage dazu machen, wie sie sich die steigende wirtschaftliche Ungleichheit in den USA erklärten.
Allerdings lieferten Keltner und Kraus ihnen vorgefertigte Argumente. Darunter waren einerseits gesellschaftliche Gründe wie „politische Entscheidungen“ oder „unterschiedliche Startchancen“, andererseits individuelle Gründe wie Talent, Fleiß oder der Umgang mit Geld.
Ergebnis: Studenten, die sich selbst als privilegiert ansahen, sahen den Grund für die soziale Schere häufiger in persönlichen Aspekten. Mit anderen Worten: Sie glaubten eher daran, dass die unteren Schichten ihre Lage selbst zu verantworten hatten.
Ähnlich verhielten sich die Teilnehmer aus „besseren“ Elternhäusern in weiteren Experimenten. Sie waren Fremden gegenüber verschlossener, zeigten sich teilnahmsloser, geiziger, selbstsüchtiger und weniger empathisch als jene aus weniger privilegierten Familien. „Die Reichen sind offenbar tatsächlich unhöflicher und egoistischer als Arme“, resümiert Michael Kraus. Gleichwohl mahnt er in einem Blogbeitrag zu Skepsis.
Zum einen sei ein hohes Eigeninteresse nicht automatisch schlecht. Im Bezug auf akademische Leistungen sei es beispielsweise sehr nützlich – denn wer an sich selbst denke, sei fleißiger und ehrgeiziger. Zum anderen sei zu viel Empathie auch nicht immer zu empfehlen. Wer es damit übertreibe, lasse sich von den negativen Emotionen seiner Mitmenschen zu stark anstecken und ablenken – was sich im schlimmsten Fall auf das eigene seelische Wohlbefinden auswirke.
Zudem hätte er sich mit seinem Kollegen Dacher Keltner zwar auf die Unterschiede zwischen arm und reich konzentriert. Die Probanden jedoch stammten hauptsächlich aus der oberen und unteren Mittelschicht. Um noch genauere Schlüsse zu ziehen, müsse man sich jedoch noch stärker den sozialen Extremen zuwenden – also beispielsweise dem Milliardär und dem Obdachlosen.
Dann würde man vermutlich bemerken, dass nicht alle Reichen immer und ewig vor Egoismus platzen. Das beweist ja auch der Artikel von Warren Buffett.
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