Der Falsche-Erfahrungs-Effekt – Wie Werbung unser Gedächtnis täuscht

Gehen Sie davon aus, dass Ihr Gedächtnis völlig intakt ist? Denkste. Selbst bei gesunden Personen bedarf es nur einiger hübscher Bilder – und schon führen unsere grauen Zellen uns auf den sprichwörtlichen Holzweg. Etwa bei Werbeanzeigen.

In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Gedächtnisforscher mit der so genannten Erinnerungsverfälschung beschäftigt. Dahinter verbirgt sich eine Art Sinnestäuschung: Wir gehen fest davon aus, dass ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat oder dass wir eine spezielle Situation tatsächlich erlebt haben – dabei hat sie in Wahrheit nie stattgefunden.

Besonders gut lässt sich unser Gedächtnis durch Bilder manipulieren. Die Psychologin Kimberley Wade zeigte in einem Experiment (.pdf) im Jahr 2002 20 Freiwilligen Fotos aus deren Kindheit, auf denen sie eine Fahrt in einem Heißluftballon unternahmen. Die Hälfte der Probanden konnte sich später genau an den Ausflug erinnern. Bloß: Der hatte so nie stattgefunden. Wade hatte die Fotos retuschiert und die Köpfe der Teilnehmer einfach hineinmontiert.

Noch mehr Effekte, die unser tagtäglich Verhalten prägen, finden Sie in meinem Buch „Ich denke, also spinn ich“, das im Juli 2011 im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist.

Für diese Sinnestäuschung sind wir auch im Alltag äußerst empfänglich – etwa beim Anblick von Werbeanzeigen. Zu diesem Ergebnis kommt die Marketing-Assistenzprofessorin Priyali Rajagopal von der Southern Methodist Universität in Dallas in ihrer neuen Studie (.pdf).

In einem Versuch konfrontierte sie 100 Studenten 30 Sekunden lang mit sechs verschiedenen Werbemotiven. Fünf davon waren schlicht gestaltet, mit einem nüchternen Text und einem Bild des Firmennamens. Die sechste jedoch war wesentlich fantasievoller: Sie zeigte ein verliebtes Pärchen beim Konsum einer Popcornsorte namens „Gourmet Fresh Popcorn“, der dazugehörige Text machte nachgerade Lust auf den Konsum. Der Clou: Alle sechs Motive zeigten völlig fiktive Produktnamen. Auch das Gourmet-Popcorn gibt es in Wahrheit nämlich nicht.

Nun bekam ein Teil der Freiwilligen ein Schüsselchen Popcorn gereicht. Dabei handelte es sich um die tatsächlich existierende Sorte „Movie Theater Butter“ – allerdings wussten die Probanden das nicht, denn der Produktname wurde ihnen nicht verraten.

Eine Woche später schickte Rajagopal allen Teilnehmern einen Fragebogen. Dort sollten sie ankreuzen, welche Produkte sie in der Vergangenheit bereits konsumiert hatten und wie gut sie sie kannten. Und siehe da: Wer die emotionalere Werbung gesehen hatten, machte sein Kreuzchen doppelt so häufig beim fiktiven Gourmet-Popcorn – unabhängig davon, ob er im Labor Popcorn gereicht bekommen hatte oder nicht.

Mit anderen Worten: Offenbar hatte die Werbebotschaft die Sinne der Teilnehmer so sehr getrübt, dass sie sich schon gar nicht mehr an Details erinnerten. Sie gingen einfach davon aus, das Produkt bereits zu kennen und konsumiert zu haben. In zwei weiteren Experimenten war das Resultat ähnlich: Wieder löste die emotionale Werbung eine Verbindung zum erfundenen Produkt aus.

Rajagopal nennt dieses Phänomen den „False Experience Effect“, oder auf Deutsch: Falscher-Erfahrungs-Effekt. Allein die Konfrontation mit Werbespots kann demnach dazu führen, dass die Konsumenten glauben, die Marke tatsächlich schon mal konsumiert zu haben – obwohl sie frei erfunden ist.

Die Wissenschaftlerin mahnt Kunden daher zu Achtsamkeit: Sie müssten schon genau hingucken – sonst baue ihr Gedächtnis quasi automatisch eine Brücke zum beworbenen Produkt. Selbst wenn es in Wahrheit gar nicht existiert.

4 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert