Was passiert, wenn wir sterben? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Diesen Fragen widmet sich der Neurochirurg und Harvard-Dozent Eben Alexander in einem viel diskutierten Buch, das kürzlich auf Deutsch erschienen ist. Ein Buchauszug.
Am 10. November 2008 – ich war damals 54 Jahre alt – schien mein Glück zu Ende zu gehen. Ich bekam eine seltene Krankheit und fiel sieben Tage lang ins Koma. In dieser Zeit war mein gesamter Neokortex – die Hirnrinde, also jener Teil des Gehirns, der uns zu Menschen macht – stillgelegt. Außer Betrieb. Im Prinzip nicht mehr vorhanden.
Wenn Ihr Gehirn nicht mehr da ist, sind auch Sie nicht mehr da. Als Neurochirurg habe ich im Laufe der Jahre viele Geschichten von Menschen gehört, die Seltsames erlebt haben, in der Regel nach einem Herzstillstand; Geschichten von Reisen durch geheimnisvolle, wunderbare Landschaften, von Gesprächen mit verstorbenen Verwandten – sogar von Begegnungen mit Gott selbst.
Wunderbare Sachen, keine Frage. Aber meiner Meinung nach war all das reine Fantasie.
Während ich im Koma lag, arbeitete mein Gehirn nicht etwa unzureichend, es arbeitete überhaupt nicht. Und ich machte Bekanntschaft mit der Realität einer Bewusstseinswelt, die völlig frei von den Beschränkungen meines physischen Gehirns existierte. Ich erlebte regelrecht einen ganzen Ansturm von Nahtoderlebnissen.
Als praktizierender Neurochirurg bin ich in einer überdurchschnittlich guten Position, um nicht nur die Realität zu beurteilen, sondern auch die Tragweite dessen, was mir passiert ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass der Tod des Körpers und des Gehirns nicht das Ende des Bewusstseins ist – dass die menschliche Erfahrung über das Grab hinausgeht. Der Ort, an den ich ging, war real.
Und ich war nicht allein. Jemand war ganz nah bei mir: eine schöne junge Frau. Wir schwebten gemeinsam auf einer kompliziert gemusterten Oberfläche in unbeschreiblichen, strahlenden Farben: dem Flügel eines Schmetterlings. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, sprach sie zu mir. Die Botschaft ging durch mich hindurch wie ein Wind, und ich verstand sofort, dass sie wahr war. In eine irdische Sprache übersetzt, würde ich sagen, dass sie in etwa so lautete: „Du wirst für immer zutiefst geliebt und geschätzt.“ „Du hast nichts zu befürchten.“ „Du kannst nichts falsch machen.“ Zusammengefasst: Du wirst geliebt.
War mein Erlebnis ein primitives Stammhirn-Programm, das sich herausgebildet hatte, um letale Schmerzen und Leiden zu lindern – möglicherweise ein Relikt der „Totstell“- oder Scheintod-Strategien, die von niederen Säugetieren eingesetzt werden? Das schloss ich von vornherein aus. Es war nicht möglich, dass meine Erlebnisse, die sich auf äußerst komplexen visuellen und auditiven Ebenen abgespielt und einen hohen Grad an wahrgenommener Bedeutung gehabt hatten, das Produkt meines Reptilienhirns waren.
War es ein verzerrter Rückgriff auf Erinnerungen aus tieferen Teilen meines limbischen Systems, dem Teil des Gehirns, der die emotionale Wahrnehmung anregt? Wieder nein. Ohne einen funktionierenden Neokortex konnte das limbische System keine Visionen von derartiger Klarheit und Logik hervorbringen, wie ich sie gehabt hatte.
War mein Erlebnis vielleicht so etwas wie eine psychedelische Vision, hervorgerufen von einigen der (vielen) Medikamente, die mir verabreicht wurden? Wieder ist es so, dass alle diese Medikamente mit Rezeptoren im Neokortex zusammenwirken. Und mit einem nicht funktionierenden Neokortex hatten diese Medikamente keinen Boden, auf dem sie wirken konnten.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die versuchen werden, meine Erfahrung irgendwie zu entkräften, und viele, die sie von vornherein ablehnen, weil sie sich weigern zu glauben, dass das, was ich erlebt habe, möglicherweise „wissenschaftlich“ sein könnte – dass es möglicherweise mehr sein könnte als ein verrückter Fiebertraum. Aber ich weiß es besser. Und sowohl denen zuliebe, die hier auf der Erde leben, als auch um deretwillen, die ich jenseits dieses Bereichs getroffen habe, betrachte ich – als Wissenschaftler und damit als Wahrheitssucher als auch als Arzt, der sich verpflichtet hat, Menschen zu helfen – es als meine Pflicht, möglichst viele Menschen wissen zu lassen, dass das, was ich erlebt habe, wahr, real und von atemberaubender Bedeutung ist. Nicht nur für mich, sondern für uns alle.
Ich bin immer noch Wissenschaftler, ich bin immer noch Arzt, und als solcher habe ich zwei entscheidende Aufgaben: der Wahrheit die Ehre zu geben und zur Heilung beizutragen. Das bedeutet, dass ich meine Geschichte erzählen muss; die Geschichte eines Erlebnisses, von dem ich im Laufe der Zeit immer sicherer bin, dass es mir aus einem bestimmten Grund passiert ist. Nicht, weil ich irgendwie besonders bin. Es ist nur so, dass bei mir zwei Ereignisse in Einklang und Übereinstimmung aufgetreten sind, und gemeinsam brechen sie den letzten Bemühungen der reduktiven Wissenschaft das Genick, der Welt weiszumachen, die materielle Welt sei alles, was existiert, und das Bewusstsein – Ihres und meines – sei nicht das große und zentrale Mysterium des Universums.
Ich bin der lebende Beweis dafür.
Über den Autor
Eben Alexander studierte Medizin und Chemie. 15 Jahre lang arbeitete er als außerordentlicher Professor für Chirurgie mit Spezialgebiet Neurochirurgie an der Harvard Medical School. In jenen Jahren operierte er zahllose Patienten, viele davon mit ernsten, lebensbedrohlichen Gehirnleiden.
Danke das du mit diesem Artikel einen weiteren kleinen aber feinen Wachrüttler erzeugst für die Menschen, welche noch nicht das Mysterium dieser Welt erfassten.