Gedanken an den Tod sind unschön, aber hilfreich, behauptet eine neue Studie. Wer mit der menschlichen Vergänglichkeit konfrontiert wird, verhält sich demnach weniger egoistisch und denkt mehr an künftige Generationen.
Caspar David Friedrich zählt nicht nur zu den bedeutendsten Malern Deutschlands, sondern auch zu den größten Nostalgikern. Immer wieder tauchen in seinen Werken Bezüge auf die Vergangenheit auf; Gedanken an eine Zeit, die nicht zurückkommt. So auch in seinem Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, bei dem ein Mann auf einer Bergspitze steht und gedankenverloren ins Tal blickt.
Aus, Schluss, vorbei. So ergeht es uns allen, irgendwie, irgendwann, irgendwo. Kein schöner Gedanke. Und einer, der unser Verhalten prägt. Der amerikanische Anthropologe Ernest Becker beschrieb in den Siebzigerjahren in seinem Buch „Denial of Death“, dass sich der Mensch als intelligentes Wesen der Unausweichlichkeit des eigenen Todes bewusst ist – und dass dieses Wissen Angst auslöse. Deshalb, so Becker, wollten Menschen ihrem Leben eine Bedeutung geben.
Daraus entstand einige Jahre später die Terror-Management-Theorie. Psychologen konnten seitdem in zahlreichen Experimenten nachweisen, dass Menschen ihr Verhalten anpassen, wenn sie mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden. Und das kann mitunter sogar positive Folgen für die Gesellschaft haben.
So lautet zumindest das Fazit einer neuen Studie von Kimberly Wade-Benzoni von der Duke Universität: „Menschen haben ein inhärentes Bedürfnis danach, ein positives Vermächtnis zu hinterlassen. Und Gedanken an den Tod verstärken dieses Bedürfnis – so dass Menschen sich selbstloser verhalten und stärker an künftige Generationen denken.“
Zu diesem Ergebnis kam die Wissenschaftlerin in zwei Experimenten. Beim ersten sagte sie 54 Studenten, dass sie in einer Lotterie 1000 US-Dollar gewinnen konnten. Nun gab sie der einen Hälfte einen Text, der ein Flugzeugunglück mit einem Toten schilderte. Die anderen lasen einen Artikel über ein Mathematikgenie, das ein schwieriges Rätsel gelöst hatte. Jetzt sollten alle einen kurzen Aufsatz über den Schreibstil der Texte ausarbeiten. Mit anderen Worten: Gruppe A beschäftigte sich gedanklich mit dem Tod, Gruppe B nicht – und dieser Unterschied wirkte sich auf das Verhalten aus.
Im Anschluss fragte Wade-Benzoni, wieviel von ihrem Lottogewinn sie an wohltätige Organisationen spenden würden – wobei sich die eine Organisation darauf konzentrierte, Menschen in der Gegenwart zu helfen, die andere wollte die Lebensbedingungen künftiger Generationen verbessern.
Und siehe da: Wer über das Mathematikgenie geschrieben hatte, gab der Organisation, die sich um das Hier und Jetzt kümmerte, 257 Dollar – und der zukunftsorientierten Einrichtung nur 100 Dollar. Umgekehrt war das Bild bei jenen Probanden, die sich mit dem Tod auseinandersetzt hatten. Sie gönnten der zukunftsorientierten Organisation 235 Dollar – und der anderen magere 40 Dollar.
Im zweiten Experiment erhielt Wade-Benzoni ein ähnliches Resultat. Wieder dachten jene Probanden, die sich mit Tod und Vergänglichkeit beschäftigt hatten, stärker an das Wohl künftiger Generationen – und weniger an die aktuelle Bevölkerung.
Offenbar verändert die Konfrontation mit dem Tod unser Verhalten. Das große Nichts löst Angst und Unsicherheit aus – und die wollen wir lindern, indem wir uns versichern, dass unsere Existenz nicht völlig umsonst ist. Und das geht vor allem dann, wenn wir zukünftigen Generationen ein positives Vermächtnis hinterlassen.
Oder, um den berühmten Schriftsteller Marcel Proust zu zitieren:
Obgleich an sich etwas Gleichgültiges, verstörte mich ihr hohes Alter, da es mir das Nahen des meinigen drohend vor Augen stellte. Im übrigen wurde mir dieses Nahen Schlag auf Schlag durch Bemerkungen zum Bewusstsein gebracht, die in Pausen von nur wenigen Minuten mein Ohr berührten wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts.
Viel schöner kann man das nicht ausdrücken.
Quelle:
Kimberly Wade-Benzoni et al (2012). It’s Only a Matter of Time – Death, Legacies, and Intergenerational Decisions. Psychological Science