Unter Strom – Wann Zeitdruck besonders schadet

Langfristig arbeitet niemand gerne unter Anspannung, doch so ein bisschen Stress braucht jeder. Aber gibt es Situationen, in denen er besonders schädlich ist? Eine neue Studie meint: Die Folgen von Zeitdruck sind vor allem von unserer Motivation abhängig.

Werden Sie immer auf die letzte Minute fertig? Brauchen Sie Stress, um so richtig durchzustarten? Drücken Sie erst dann auf das geistige Gaspedal, wenn die Ziellinie schon in Sichtweite ist?

Okay, genug der Metaphern. Aber Fakt ist: Viele Menschen sind davon überzeugt, dass sie zumindest ohne eine Prise Zeitdruck nicht arbeiten können. Und diese Annahme ist sogar wissenschaftlich untermauert.

Dutzende von Experimenten konnten in den vergangenen Jahren zeigen: Der Zusammenhang zwischen Zeitdruck und Leistung verläuft etwa in Form eines umgedrehten U. Oder anders formuliert: Überhaupt kein Zeitdruck ist für unsere Leistung genauso schädlich wie zuviel davon.

Aber gibt es Situationen, in denen er besonders schlimm ist? Und welche Rolle spielt dabei unsere innere Einstellung? Mit diesen Fragen beschäftigte sich nun die niederländische Psychologin Marieke Roskes, die inzwischen an der israelischen Ben-Gurion-Universität des Negev in Be’er Scheva arbeitet.

Für ihre Studie konzipierte sie vier Experimente mit etwa 300 Teilnehmern. Sie sollten verschiedene Tests lösen, darunter verbale und mathematische Aufgaben. Der einen Hälfte gaukelte Roskes vor, besonders unter Zeitdruck zu stehen, die andere Hälfte konnte die Aufgaben entspannt lösen. Allerdings gab es noch einen weiteren Unterschied: Sie manipulierte die Einstellung der Probanden.

Annähern oder vermeiden

Ein kurzer Exkurs: Psychologen unterscheiden zwischen der Annäherungs- und der Vermeidungsmotivation. Bei Ersterer geht es darum, etwas Schönes zu erreichen oder Neues zu erschaffen. Vermeidungsmotivation hingegen bedeutet: Der Fokus liegt darauf, Fehler zu umgehen, Verluste zu vermeiden und den Status Quo beizubehalten.

Kurzfristig ist die Vermeidungsmotivation gar nicht so übel, denn sie kann die Konzentration erhöhen und die Wachsamkeit steigern. Aber langfristig führt sie eher zu Angst, verringert die intrinsische Motivation, senkt das Wohlbefinden und kostet mentale Kraft. Einfach deshalb, weil wir uns darauf konzentrieren, an etwas festzuhalten, nicht zu versagen, bloß keinen Fehler zu machen – und dadurch verkrampfen. Und das passiert offenbar unter Zeitdruck besonders häufig.

Zu diesem Ergebnis kam zumindest Marieke Roskes in allen Experimenten. Sie teilte die Freiwilligen nämlich nicht nur in eine gestresste und eine entspannte Hälfte. In den Gruppen selbst teilte sie die Teilnehmer noch mal in Annäherungs- und Vermeidungsmotivation.

Und das ging so: Zwar sollten alle so viele Punkte wie möglich ergattern. Doch die eine Hälfte konnte nun für jede richtige Antwort zusätzliche Punkte gewinnen, falsche Antworten blieben ohne Auswirkung. Die andere Hälfte allerdings konnte nur bei einer falschen Antwort Punkte verlieren, eine richtige Antwort war folgenlos. Sie sehen schon: Die einen waren annäherungsmotiviert, die anderen vermeidungsmotiviert.

Zeitdruck schadet

Und siehe da: Der Zeitdruck wirkte sich nun unterschiedlich aus. Bei der Gruppe der Vermeidungsmotivierten litt die Leistung am meisten – und zwar egal, ob die Aufgaben Kreativität oder analytisches Denken erforderten. Die Annäherungsmotivierten ließen sich vom Zeitdruck hingegen nicht sonderlich aus der Ruhe bringen. „Zeitdruck schadet der Leistungsfähigkeit am stärksten, wenn die Menschen vermeidungsmotiviert sind“, sagt Roskes.

Das sollten auch Vorgesetzte beachten, wenn sie ihren Angestellten Fristen setzen. Immer dann, wenn die Aufgabe mit Vermeidung zu tun hat – also zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle oder der Buchprüfung -, sollten sie ihnen mehr Zeit lassen und sie weniger unter Stress setzen.

„Vermeidungsmotivation ist sicher notwendig und wertvoll“, sagt Roskes, „aber unter Zeitdruck sollte man von ihr absehen.“

Quelle:
Marieke Roskes et al (2013). Time Pressure Undermines Performance More Under Avoidance Than Approach Motivation, Personality and Social Psychology Bulletin

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