Was Gendern bringt

Gendergerechte Sprache prägt nicht nur unsere Denkmuster – sondern auch unser Gedächtnis.

Wer wissen will, wie Menschen ticken, muss ihnen nur eine Frage stellen: Wie stehst du zum Thema „Gendern“?

Tatsächlich gibt es kaum jemanden, der dazu keine Meinung hat. Im Grunde gibt es nur zwei Lager: Die einen lehnen es radikal ab, die anderen sind extrem dafür.

Zum ersten Lager gehört auch Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß. Er forderte kürzlich ein Verbot der Gendersprache bei staatlichen Stellen. Damit ist er nicht alleine: Je nach Umfrage halten zwischen 50 und 65 Prozent der Deutschen nichts davon.

Der Fanclub des Genderns allerdings findet: Wir sollten künftig „Zuhörende“ statt „Zuhörer“ sagen. „Studierende“ statt „Studenten“. Oder: „WählerInnen“, Mitarbeiter*innen und so weiter. Der Sinn der Sache: weniger geschlechterspezifisches Denken.

Wer Manager*innen sagt statt „Manager“, der transportiert nämlich gleichzeitig eine Botschaft – und zwar dass eine Führungskraft eben auch eine Frau sein kann und nicht zwangsläufig immer nur ein Mann.

Feministisches Wunschdenken? Auf keinen Fall. Denn tatsächlich zeigen Dutzende von Laborexperimenten: Das so genannte generische Maskulinum – also: immer nur die männliche Form zu verwenden…so wie bei „Lehrer“, „Polizisten“ und so weiter) – beeinflusst die kognitive Zugänglichkeit.

Einfach ausgedrückt: Wer „Manager“ sagt, der meint vielleicht auch die Managerinnen mit. Aber weil man es eben nicht sagt, kommt es beim Gegenüber auch nicht an. Und so setzt sich dann langfristig die Vorstellung in den Köpfen fest, dass „Manager“ zwangsläufig immer Männer sein müssen.

Dieser unterschwellige Mechanismus wurde in Dutzenden von Experimenten belegt – und er ist eines der Hauptargumente für das Gendern. Und nun liefert eine neue Studie noch ein weiteres Argument. Demnach beeinflusst Gendern nicht nur unsere gedanklichen Assoziationen – sondern auch unser Gedächtnis.

So lautet zumindest das Ergebnis einer Studie der amerikanischen Psychologin April Bailey. Sie arbeitet an der renommierten Yale University. Und dort gibt es eine Besonderheit.

Alle Studierenden werden vor Beginn ihres Studiums per Zufallsprinzip einem von 14 residential colleges zugeteilt, so eine Art Wohnheim. Jedes dieser Wohnheime wird von einem Fakultätsmitglied der Uni geführt.

Bis zum Jahr 2016 hieß diese Position „Master“, also „Meister“. Dann benannte die Uni sie um – und zwar in „Head“, also so etwas wie „Leitung“.

Warum sich die Hochschule dazu entschied, dazu kommen wir gleich noch. Aber Fakt ist: Das Wort „Master“ gilt im Englischen eher als männlich konnotiert, „Head“ ist eher geschlechtsneutral.

April Bailey wollte nun in ihrer Studie herausfinden: Würde diese Änderung von „Master“ zu „Head“ bei den Studierenden ebenfalls eine Änderung bewirken?

Deshalb befragte sie knapp 340 Freiwillige an zwei Zeitpunkten – im Jahr 2015, also vor der Änderung von Head zu Master, und einmal im Jahr 2018, also nach der Änderung.

Und dabei machte sie zwei interessante Entdeckungen.

Erstens: Als die Vorsitzenden der Wohnheime noch „Master“ hießen, verbanden die Studierenden mit einer Führungsposition eher Männer. Drei Jahre später, also als die Position “Head” hieß, verbanden sie mit einer Führungsposition wesentlich häufiger auch Frauen.

Das heißt: Auch in diesem natürlichen Umfeld, außerhalb des Labors, bewirkte die Umbenennung anscheinend eine größere kognitive Zugänglichkeit.

Aber das war noch nicht alles.

Bailey unterzog die Teilnehmenden an beiden Zeitpunkten auch einem Gedächtnistest. Die Teilnehmenden sahen verschiedene Porträtfotos von Männern und Frauen und sollten sagen, wer davon eines der residential colleges leitete. Und dabei bemerkte Bailey: Bei der ersten Befragung erkannten die Teilnehmenden wesentlich mehr männliche Leiter als weibliche. Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung war dieser Unterschied verschwunden.

Eine mögliche Erklärung: Wenn Menschen Gesichter erkennen sollen, dann gelingt ihnen das besser, wenn die Informationen zu ihren Erwartungen passen.

Übertragen auf die Studie könnte das bedeuten: Zum Zeitpunkt der zweiten Umfrage waren die Teilnehmenden schon stärker daran gewöhnt, dass Führungspositionen auch von Frauen besetzt werden können – und erkannten daher mehr Frauen als beim ersten Mal. Einfach weil es im wahrsten Sinne des Wortes schon „normaler“ war.

Was lehrt uns diese Studie?

Natürlich müssen wir sie – wie alle Studien – mit einer gewissen Vorsicht genießen. April Bailey weist hier erstmal nur auf einen Zusammenhang hin – nämlich dass gendergerechte Sprache nicht nur bestimmte Assoziationsketten beeinflusst, sondern auch die Einprägsamkeit gewisser Informationen.

Aber genauso interessant ist noch etwas anderes. Die Hochschule entschloss sich zu dem Namenswechsel von „Master“ zu „Head“ nämlich gar nicht, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern – sondern weil sie Bedenken hatte, dass das Wort „Master“ historisch zu stark belastet ist, weil es mit dem Besitz von Sklaven konnotiert ist.

Bailey schreibt: „Vielleicht war die Veränderung genau deshalb so erfolgreich, weil sie nicht durch feministische Motive getrieben schien.“

Und vielleicht erklärt das ja auch, warum auffallend viele Männer das „Gendern“ so stark ablehnen. Nicht etwa, weil sie sich um die deutsche Sprache sorgen – sondern weil sie sich von Frauen bedroht fühlen.

Quelle:

April Bailey et al (2021). “Master” of None: Institutional Language Change Linked to Reduced Gender Bias. Journal of Experimental Psychology: Applied.