Händewaschen nicht vergessen! Warum bereits ein kleiner Hinweis für mehr Hygiene sorgt

Noch immer waschen sich viele Ärzte nicht die Hände, nachdem sie mit Patienten Kontakt hatten – mit teilweise dramatischen Folgen. Laut einer neuen Studie ließe sich die Disziplin im Gesundheitswesen bereits mit einer Kleinigkeit vergrößern.

Im Jahr 1846 wurde Ignaz Semmelweis Assistenzarzt in der Geburtsabteilung des Kaiser Josef II. Krankenhauses in Wien. In jener Zeit starben dort jährlich etwa 2000 Frauen am sogenannten Wochenbettfieber – einer Infektionskrankheit, bei der Keime über die Gebärmutter eindringen und zu einer tödlichen Blutvergiftung führen können. Im 19. Jahrhundert starben in Europa daran mehr als eine Million Frauen.

Als Semmelweis seine Stelle im Alter von 28 Jahren antrat, lag die Sterblichkeit von jungen Müttern auf seiner Station bei 18 Prozent, in anderen Kliniken sogar bei 30 Prozent. Das heißt: Mehr als jede vierte Frau starb bei der Geburt ihres Kindes. Jedoch galt das nicht für alle Krankenhausabteilungen gleichermaßen. Auf Semmelweis‘ Station, auf der zahlreiche weitere Ärzte und Medizinstudenten arbeiteten, starben deutlich mehr Frauen am Kindbettfieber als in der Station nebenan, in der nur Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden.

Eines Tages fand Semmelweis die Lösung: Tatsächlich untersuchten die Ärzte seiner Abteilung die verstorbenen Mütter regelmäßig. Im ständigen Wechsel behandelten sie aber auch die werdenden Mütter – jedoch ohne sich zwischendurch die Hände zu desinfizieren, geschweige denn zu waschen. Die Hebammenschülerinnen dagegen führten weder vaginale Untersuchungen durch, noch kamen sie mit Leichen in Berührung. Entsprechend niedrig war bei ihnen die Rate der infizierten Wöchnerinnen.

Nun wusch sich Semmelweis nach jeder Leichenautopsie seine Hände und reinigte sämtliche Instrumente mit einer Lösung aus Chlor und Zitronensäure. Dasselbe ordnete er für seine Studenten an. Prompt sank die Sterblichkeitsrate in seiner Station auf drei Prozent. Einige Zeit später erkannte er, dass die Ansteckungsgefahr nicht nur von den Leichen ausging, sondern ebenso von allen anderen Menschen auf der Station. Daraufhin trug er seinen Kollegen auf, Hände und Instrumente grundsätzlich zwischen zwei Behandlungen zu reinigen und desinfizieren. Das Ergebnis sprach für sich: Zwei Jahre nach seiner Anstellung als Assistenzarzt verringerte sich die Zahl der Kindbettfieber-Todesfälle auf 1,3 Prozent.

Warum ich Ihnen diese Anekdote hier erzähle? Weil das Problem mangelnder Hygiene im Gesundheitswesen kein Problem des 19. Jahrhunderts ist. Unsachgerechtes Händewaschen unter Ärzten ist bis heute einer der Hauptverursacher von mehr als zwei Millionen Infektionen jährlich. Etwa 90.000 Menschen sterben daran jedes Jahr allein in den USA.

Klitzekleine Änderungen

Eine Tragödie, die auch Adam Grant umtreibt. Der Psychologe und Assistenzprofessor von der amerikanischen Business School Wharton wollte in seiner neuen Studie (.pdf) herausfinden, wie sich die Hygiene in Krankenhäusern verbessern lässt. Um es vorwegzunehmen: Offenbar sind dafür nur einige klitzekleine Änderungen notwendig.

Das Zentrum des ersten Experiments waren 66 Seifenspender in einem Krankenhaus. Diese ließ er vom Personal auffüllen und nach zwei Wochen wiegen – um zu sehen, wie oft sie benutzt worden waren. Dann teilte Grant die Seifenspender in drei Gruppen. Über die einen klebte er ein Schild mit der Aufschrift „Händewaschen verhindert, dass Sie krank werden“. Über die anderen hängte er ein Schild mit der Aufschrift „Händewaschen verhindert, dass Ihre Patienten krank werden“. Die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe, auf dem Schild stand „Einreiben, Auswaschen“. Dann ließ Grant wieder zwei Wochen vergehen und stellte die Seifenspender erneut auf die Waage.

Und siehe da: Lediglich eines der Schilder hatte einen signifikanten Einfluss auf die Benutzung – und zwar das mit der Aufschrift „Händewaschen verhindert, dass Ihre Patienten krank werden“. Hier stieg die Benutzung plötzlich um über 50 Prozent.

Neun Monate später kehrten Grant und Co. noch mal in dasselbe Krankenhaus zurück, allerdings in eine andere Abteilung. Diesmal beobachteten sie zwei Wochen lang mit eigenen Augen, wie häufig Ärzte und Krankenschwestern sich nach dem Kontakt mit einem Patienten die Hände desinfizierten. Dann hefteten sie wieder die unterschiedlichen Schilder über die Seifenspender und schauten sich das Geschehen erneut zwei Wochen lang an.

Das Ergebnis war dasselbe: Schilder, die an die Konsequenzen mangelnder Hygiene für die Patienten erinnerten, führten zu wesentlich höherer Sensibilität. Hier stieg die Benutzung um etwa zehn Prozent. Die anderen beiden Schilder hatten keinerlei signifikante Auswirkung. „Gesundheits- und Sicherheitswarnungen sollten sich nicht immer auf die eigene Person beziehen“, resümiert Adam Grant, „sondern auf die verwundbarste Zielgruppe.“

Der Grund hierfür liegt nach Meinung von Grant in der Psychologie des Überzeugens. Damit eine Botschaft bei der Zielgruppe ankommt, muss sie mit deren Prioritäten übereinstimmen. Und die Angestellten im Gesundheitswesen, egal ob Ärzte, Pfleger oder Krankenschwestern, haben nunmal nicht hauptsächlich ihr eigenes Wohlbefinden im Blick – sondern das ihrer Patienten.

Tragisches Schicksal

Das wiederum führt uns zum Schicksal von Ignaz Semmelweis zurück. Man sollte meinen, dass die anderen Ärzte ihm für seine Entdeckung auf die Schulter klopften oder wenigstens seine Anweisungen befolgten. Von wegen.

Sie kritisierten ihn, mieden ihn und beschimpften seine Schlussfolgerungen als Unfug. Am Ende wurde sein Vertrag im Krankenhaus nicht verlängert. Der 30-jährige Arzt kehrte daraufhin in seine ungarische Heimat zurück und praktizierte dort am Krankenhaus in Pest, wo er die Sterblichkeitsrate unter seinen Patienten auf 0,85 Prozent senkte – während sie in Wien wieder auf etwa 15 Prozent hochschnellte.

Schuld daran war einzig die Ignoranz der Ärzte und der Wissenschaft. Diese menschliche Eigenschaft, neue und womöglich überraschende Erkenntnisse erstmal abzulehnen, trägt heute seinen Namen: Semmelweis-Effekt.

Quelle:
Adam M. Grant und David A. Hofmann (2011). It’s Not All About Me: Motivating Hand Hygiene Among Health Care Professionals by Focusing on Patients. In: Psychological Science, Band 22, Nummer 12, Seite 1494-1499.

11 Kommentare

  1. Das was verhaltensnah ist wird eher umgesetzt als bloße Meinungen oder Verallgemeinerungen. Das ist die erste Regel. Woran es wohl liegt, dass es wirksamer ist von den anderen zu schreiben als von sich selbst? Klar: Die anderen sind ja in der Überzahl! Ich halte nicht nur mich gesund – bin ich ja sowieso, sondern auch alle anderen. Ist es das Bedürfnis, etwas bewirken zu wollen?

  2. Dann sollte auf Zigarettenpackungen künftig statt:
    „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“
    lieber:
    „Rauchen macht ihre Kinder schneller zu Waisenkindern“
    stehen …

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