Geteiltes Leid – Wie virales Marketing funktioniert

Überall teilen wir mit Freunden und Bekannten Informationen. Ein Wissenschaftler meint: Unser Mitteilungsbedürfnis liegt vor allem an unserer Stimmung – und das erklärt, warum sich manche Artikel und Videos so schnell im Netz verbreiten.

Wer das hier liest, ist ein Idiot. Hat hat keine Freunde. Und taugt zu nichts. Halt! Bevor Sie jetzt sofort wegklicken: Es handelte sich natürlich nur um einen Scherz. Einerseits. Andererseits könnte solch eine gezielte Provokation dazu führen, dass dieser Artikel mehr Leser findet. So lautet zumindest die Schlussfolgerung der neuen Studie (.pdf) von Jonah Berger, Assistenzprofessor an der Wharton School of Business. Aber der Reihe nach.

Es ist völlig alltäglich, dass Menschen sich austauschen: Männer plaudern über Fußball, Frauen tratschen über Hollywood-Stars, Kollegen lästern über den Chef (um mal tief in die Klischee-Kiste zu greifen). Wissenschaftler haben für diesen vermeintlich banalen Vorgang einen Fachbegriff gefunden – „social transmission“, oder auf Deutsch: gesellschaftliche Übertragung. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass wir Neuigkeiten gerne mit Freunden und Bekannten teilen. Die Frage ist nur: Warum tun wir das?

Die drei K’s

Bislang vermuteten Wissenschaftler, dass sich Anekdoten und Gerüchte vor allem in Zeiten der drei „K’s“ verbreiten: bei Konflikten, Krisen und Katastrophen – weil die Menschen dann tendenziell ängstlicher sind und andere an ihren Sorgen teilhaben lassen. Geteiltes Leid als halbes Leid.

Allerdings erklärt das nicht, warum wir uns auch in guten Zeiten austauschen, oder über vermeintliche Banalitäten. Jonah Berger behauptet: Der Grund dafür ist vor allem emotionale Erregung, oder um beim Fachterminus zu bleiben: „Arousal„. Ein Zustand also, in dem unser autonomes Nervensystem anspringt und wir bestimmte Emotionen empfinden. Experten unterscheiden dabei zwischen hoher Erregung, also Gefühlen wie Wut, Angst oder auch Belustigung, und niedriger Erregung – also Zufriedenheit oder Traurigkeit.

Im ersten Experiment ließ Berger 93 Studenten einen Videoclip schauen. Die eine Gruppe bekam einen Film vorgesetzt, der sie in einen Zustand hoher emotionaler Erregung versetzte – entweder empfanden sie danach Angst oder waren amüsiert. Die anderen bekamen einen Clip zu sehen, der ein niedriges Erregungsniveau hervorrief.

Nun bekamen die Teilnehmer einen neutralen Artikel und ein neutrales Video zu sehen. Zu guter Letzt fragte Berger sie, ob sie beides mit Freunden oder Verwandten teilen wollten. Und siehe da: Jene Studenten, die sich nach dem Konsum des ersten Videos in hoher Erregung befanden, wollten den neutralen Clip wesentlich häufiger weiterleiten.

Dasselbe Resultat erhielt Berger, als er im zweiten Experiment 40 Studenten in zwei Gruppen teilte. Die eine sollte eine Minute still dasitzen, die andere sollte joggen – eine Aktivität also, die tendenziell das Nervensystem anregt (ähnlich wie hohe emotionale Erregung). Im Anschluss sollten alle einen neutralen Artikel lesen und entscheiden, ob sie ihn Freunden via E-Mail schicken wollten. Ergebnis: Aus der Sitz-Gruppe teilten den Text 33 Prozent. Die Jogger-Gruppe leitete ihn hingegen zu 75 Prozent weiter.

„Sind wir physiologisch erregt, tauschen wir Informationen gerne aus“, sagt Studienleiter Berger, „und zwar unabhängig davon, ob die Gefühle positiver oder negativer Natur sind.“

Nun könnte man die Studie natürlich leicht abtun, da sie im Labor stattfand und nur Studenten untersucht wurden. Bloß: Bergers Ergebnisse lassen sich durchaus auch in der Realität beobachten – genauer gesagt im Internet.

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In einer Studie (.pdf) im vergangenen Jahr analysierte Berger drei Monate lang die Website der NY Times. Genauer gesagt wertete er aus, welche Artikel von den Nutzern am häufigsten weitergeleitet wurden. Oder, wie Internetexperten es ausdrücken: welche Texte sich besonders stark viral verbreiten.

Zwar wurden positive Inhalte tendenziell stärker weitergeleitet als negative. Doch viel entscheidender waren die Emotionen, die sie bei den Lesern auslösten: Sorgten die Texte für ein hohes Maß an Erregung, wurden sie häufiger weitergeleitet als jene, die niedrige Erregung auslösten – und zwar unabhängig davon, ob diese Gefühle positiv waren (Ehrfurcht, Bewunderung) oder negativ (Wut, Angst). Jene Artikel, die nur ein geringes Erregungspotenzial hatten, also die Leser traurig machten oder zufriedenstellten, wurden seltener empfohlen.

Mehr noch: Berger bezog in seine Analyse auch mit ein, wie prominent die untersuchten Artikel platziert waren. Fazit: Dieser Ort hatte keinerlei Auswirkung! Will sagen: Wichtig ist, was ein Text beim Leser auslöst – und nicht, wo er auf einer Seite steht. Selbiges gilt natürlich auch für andere Medienformen. Wer seinem Videoclip im Netz zum Erfolg verhelfen will, sollte also auf ein hohes Erregungspotenzial setzen.

Und jetzt Sie: Werden Sie diesen Artikel teilen?

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