Angeblich kann der Glaube die sprichwörtlichen Berge versetzen. Eine neue Studie beweist die Macht des Glaubens: Demnach stärken religiöse Gedanken die Selbstbeherrschung.
Egal ob Christen, Moslems oder Hindus – allen Religionen gemein ist der Glaube an eine überirdische, unsichtbare Kraft, die die Geschicke der Welt lenkt und gewisse Verhaltensweisen belohnt, andere hingegen bestraft. Weniger einig sind sich Wissenschaftler bei der Frage, warum Religionen überhaupt entstanden sind.
Die einen meinen, dass der Glaube dabei hilft, mit scheinbar zufälligen Ereignissen und natürlichen Phänomenen klarzukommen. Die anderen vermuten, dass er das menschliche Bedürfnis befriedigt, die Welt als geordnet und vorhersehbar wahrzunehmen. Eine dritte Erklärung lautet: Religionen sind so etwas wie der soziale Kitt einer Gesellschaft, denn sie fördern prosoziales Verhalten. Motto: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
Kevin Rounding, Doktorand an der kanadischen Queen’s Universität, hat jetzt in einer Studie einen weiteren psychologischen Mechanismus von Religiosität entdeckt: Demnach fördert der Glaube die Selbstbeherrschung. Darunter verstehen Psychologen die Fähigkeit, eigenen Impulsen zu widerstehen oder Verhaltensweisen zu unterdrücken, um damit ein höheres Ziel zu erreichen. Und dabei, so zeigen die Experimente von Rounding, kann auch Religiosität eine Rolle spielen.
Im ersten Versuch teilte er 48 Psychologiestudenten in zwei Gruppen. Alle sollten jeweils zehn Sätze mit fünf Wörtern in die grammatikalisch korrekte Reihenfolge bringen. Doch bei einer Gruppe enthielten einige der Sätze religiöse Begriffe wie Gott, Geist oder göttlich. Der Sinn der Sache: Rounding wollte jene Probanden auf Religiosität „primen“, also gedanklich auf Glaube geeicht. Und das zeigte Wirkung auch.
Nach der Übung führte Rounding alle Freiwilligen an einen Tisch, auf dem er kleine Gläschen platziert hatte. Deren Inhalt: Orangensaft gemischt mit Essig. Na Prost. Roundings Angebot: Für jedes geleerte Gläschen wollte er den Probanden ein paar Cents zahlen. Und siehe da: Die Religionsgruppe trank im Schnitt doppelt so viel von dem sauren Gebräu wie die Kontrollgruppe.
Ähnlich wirkte sich die gedankliche Beschäftigung mit Religion in den weiteren Experimenten aus. Wer zuvor auf Religion geprimed worden war, zeigte sich ausdauernder, geduldiger und war eher dazu bereit, auf eine schnelle, kleine Belohnung zu verzichten und stattdessen länger auf eine größere Belohnung zu warten. Und das, obwohl sich insgesamt 35 Prozent aller Probanden als Atheisten oder Agnostiker bezeichneten!
Der Mechanismus funktioniert laut Rounding wie folgt: Religion vermittele stets die Bedeutung von Verzicht und Disziplin. Deshalb stärkten religiöse Gedanken die Selbstbeherrschung – und dafür reichen offenbar schon kleine, subtile Erinnerungen.
Quelle:
Kevin Rounding et al (2012). Religion Replenishes Self-Control. Psychological Science