Der Autogramm-Effekt – Wie die Unterschrift unser Verhalten beeinflusst

Unsere Unterschrift spielt in vielen Lebensbereichen eine große Rolle, egal ob beim Mietvertrag oder der Hochzeitsurkunde. Neueste Untersuchungen zeigen jetzt: Der Autogramm-Effekt beeinflusst sogar unser Verhalten.

Schon seit Jahrzehnten beschäftigen sich Graphologen mit unserer Handschrift. Sie sind davon überzeugt, dass sich an unserer Art zu schreiben vieles ablesen lässt – Charaktereigenschaften beispielsweise, oder gar berufliche Erfolgsaussichten.

Natürlich sind solche Behauptungen ähnlich fundiert wie Bleigießen am Silvesterabend, und deshalb werden sie von den meisten seriösen Psychologen längst als wissenschaftlicher Mumpitz abgetan. Doch jetzt zeigt eine ganze Reihe von Studien, dass unsere Handschrift in der Tat große Macht hat – wenngleich anders als von Graphologen vermutet: Neueste Untersuchungen zufolge beeinflusst unsere Unterschrift sogar unser Verhalten. Zum Beispiel beim Einkaufen.

Zu diesem Ergebnis kamen Keri Kettle und Gerald Häubl von der Universität von Alberta in mehreren Experimenten (.pdf). Bei einem reichten sie einem Teil der 57 Probanden zunächst ein Blatt Papier, auf das sie ihre Unterschrift setzen sollten. Die Kontrollgruppe musste nichts weiter tun.

Nun sollten die Teilnehmer zwei verschiedene Produkte bewerten: Die einen schauten sich drei Digitalkameras an, die anderen drei Spülmaschinen. Dafür stand ihnen an einem Computer ein Katalog mit 15 Vergleichskategorien zur Verfügung – bei den Kameras war dies etwa der Preis, das Gewicht oder die Auflösung. Diese Kategorien konnten sie jedoch nur sehen, wenn sie am Computer ein Knopf drückten.

Nachdem sie ihre Wahl getroffen hatten, beantworteten sie eine Reihe von Fragen über das jeweilige Produkt. Wie oft sie beispielsweise eine Digitalkamera nutzten, wie gut sie sich mit Spülmaschinen auskannten, kurzum: wie wichtig ihnen die Gegenstände waren. Wenig überraschend: Zu der Kamera hatten die Probanden eine stärkere Verbindung als zur Spülmaschine.

Doch wesentlich erstaunlicher war der so genannte Autogramm-Effekt: Die Unterschrift hatte großen Einfluss darauf, wie sehr sich die Teilnehmer mit dem Produkt beschäftigten. Der Kamera widmeten die Teilnehmer viel mehr Zeit, nachdem sie unterschrieben hatten – im Schnitt knapp drei Minuten. Mit der Spülmaschine beschäftigten sie sich nach dem Autogramm allerdings erheblich weniger (1,7 Minuten). Aber warum?

Kettle erklärt sich das wie folgt: Wer eine Unterschrift leistet, der wird unbewusst an seine Persönlichkeit erinnert, mitsamt deren Vorlieben – und eine davon war in dem Experiment zumindest ein gewisses Interesse für die Kamera. Als sie diese nun nach der Unterschrift sahen, waren sie gleich dazu bereit, ihr auch mehr Zeit zu widmen. Bei der Spülmaschine hatte die Unterschrift den gegenteiligen Effekt: Hier hielt sich die Euphorie ohnehin in Grenzen – und das Autogramm verstärkte das nur noch.

Dasselbe Resultat erhielten die Forscher, als sie ihr Labor im zweiten Experiment verließen. Diesmal sollte eine andere Gruppe von Freiwilligen in einem Sportgeschäft Laufschuhe auswählen. Wieder hatte ein Teil der Probanden zuvor auf einem Blatt Papier ihren Namen aufgekritzelt – und genau jene guckten sich im Shop am längsten um und probierten die meisten Schuhe an. Vorausgesetzt, sie interessierten sich ohnehin für Laufsport. War das nicht der Fall, senkte die Unterschrift das Interesse.

Lügen vermeiden

Doch unsere Unterschrift kann nicht nur unsere Ausdauer beeinflussen – sondern auch unsere Ehrlichkeit. Das zumindest legt eine aktuelle Studie (.pdf) des renommierten Verhaltensökonomen Dan Ariely von der Duke Universität nahe.

Sie kennen das: Jedes Dokument unterzeichnen sie zumeist am unteren Ende der Seite. Egal ob Verschwiegenheitsklauseln, Eheverträge oder Versicherungsanträge – Sie setzen Ihr Autogramm drunter und versichern dem Vertragspartner damit Ihre Ehrlichkeit. Soweit zumindest die Theorie.

Praktisch jedoch kommt es immer wieder zu Vertragsbrüchen, falschen Angaben oder gezielten Lügen. Glaubt man Ariely, ließe sich das bereits mit einer winzigen Änderung verbessern – indem man die Leute am oberen Ende des Dokuments unterschreiben lässt.

In einer Feldstudie analysierte er knapp 14.000 Verträge einer amerikanischen Autoversicherung. Deren Kunden sollten den Stand des Kilometerzählers angeben – wobei insgeheim ein Anreiz bestand, die Versicherung dabei zu betuppen. Denn: Je niedriger der Zählerstand, desto geringer die Versicherungsprämie.

Ariely ließ den Kunden nun zusätzlich ein Dokument zukommen, mit dem sie ihre Ehrlichkeit garantieren sollten: „Ich verspreche, dass meine Informationen wahr sind“, stand darauf. Der Clou: Ein Teil der Kunden unterschrieb das Gelöbnis am unteren Ende der Seite, ein anderer signierte es am oberen Ende. Und siehe da: Letztere waren offenbar wesentlich ehrlicher – sie gaben im Durchschnitt einen Kilometerstand von 26.000 Meilen an, bei der ersten Gruppe waren es im Schnitt 24.000.

Zugegeben, das könnte reiner Zufall sein. Doch in einem Laborexperiment mit 101 Studenten erhielten Ariely und Co. dasselbe Resultat: Studenten, die die Unterschrift gleich am Anfang des Dokuments leisteten, waren wesentlich ehrlicher und schummelten seltener als solche, die ihre Signatur ans Ende setzten.

Ariely meint: Wer zuerst unterschreibt, bevor er sich das Dokument durchliest, wird sich seiner moralischen Vorstellungen bewusst – und handelt ehrlicher. Wer sich jedoch zuerst das Dokument durchliest, verabschiedet sich womöglich bereits unterbewusst von sämtlichen guten Sitten. Zwar unterschreibt er und gelobt Aufrichtigkeit. Doch schon kurz später gehen Ethik und Moral über Bord.

 

8 Kommentare

  1. Nicht „Cogito ergo sum“, sondern „Ich unterschreibe, also bin ich.“
    Ich denke, mit der eigenen Unterschrift zeigt man ein Stück Identität und zwar auf eine nicht sehr aufwendige Weise. Aber die innere Verpflichtung ist doch hoch.

    Deswegen funktionieren ja auch Unterschriftensammlungen für ein Volksbegehren oder andere Projekte gut, obwohl sie rein rechtlich keine Bedeutung haben.

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