Wer sich attraktiv findet, akzeptiert Ungleichheit

Mögen Sie Ihr Aussehen? Die Antwort hat erhebliche Folgen. Laut einer neuen Studie gilt: Wer sich attraktiv findet, akzeptiert gleichzeitig soziale Ungleichheit. Der Blick in den Spiegel entscheidet nicht nur darüber, ob wir uns selbst mögen – sondern auch, wie wir die Welt sehen.

Jeder möchte gerne gut aussehen – der eine mehr, der andere weniger. Die Kosmetikbranche profitiert von diesem Wunsch ebenso wie Modekonzerne oder Schönheitschirurgen. Mit seinem Äußeren zufrieden zu sein, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Ist es gestillt, fühlen sich die meisten direkt besser.

Doch sich selbst attraktiv zu finden, hat nicht nur Auswirkungen auf das Selbstbild – sondern auch auf das Weltbild.

Zu diesem Ergebnis kommen jetzt Peter Belmi und Margaret Neale von der Stanford-Universität. „Die Wahrnehmung der eigenen Attraktivität beeinflusst, ob Menschen Ungleichheit unterstützen oder ablehnen“, schreiben sie in ihrer neuen Studie.

Zu diesem Ergebnis gelangten sie in verschiedenen Experimenten. Mal befragten sie 180 repräsentativ ausgewählte Amerikaner zum einen nach ihrem Selbstbild – also wie attraktiv sie sich selbst fanden. Zum anderen wollten sie wissen, wie die Befragten über Ungleichheit dachten.

Waren sie damit einverstanden, dass eine gesellschaftliche Elite mehr besitzt als der Rest? Hielten sie es schlicht für eine Folge geringer Qualifikation, wenn Frauen und Minderheiten niedrige Löhne bekommen? Glaubten sie an ein Naturgesetz, wonach manche Menschen eben weniger Chancen haben als andere? Und konnten sie sich mit dem Leben der Wohlhabenden und Privilegierten identifizieren? Kurzum: Akzeptierten sie Ungleichheit?

Bei der Auswertung entdeckten die Wissenschaftler tatsächlich einen Zusammenhang: Wer sich attraktiv fand, fand Ungleichheit eher in Ordnung als jene, die ihr Aussehen weniger mochten.

Gedanklich attraktiv

In weiteren Experimenten teilten Belmi und Neale die Probanden in unterschiedliche Gruppen. Die einen sollten über eine Situation schreiben, in der sie sich besonders attraktiv gefühlt hatten. Die anderen hingegen sollten über ein Erlebnis berichten, bei dem sie sich unattraktiv gefunden hatten.

Und siehe da: Die gedankliche Manipulation wirkte. Wieder billigten jene, die sich kurz zuvor an ihre eigene Attraktivität erinnert hatten, Ungleichheit stärker. Die geistige Beschäftigung mit der eigenen Unansehnlichkeit hingegen führte dazu, dass die Probanden Ungleichheit ablehnten.

Gleichzeitig entdeckten die Forscher, dass der Effekt nichts mit Macht, Selbstbewusstsein oder empfundenem Status zu tun hatte – sondern einzig und allein mit der Wahrnehmung der eigenen Attraktivität.

Mit anderen Worten: Wer sich selbst schön findet, nimmt die Welt eher als ungerechten Ort wahr – und findet das gleichzeitig völlig in Ordnung.

Schön unfair

Dass diese Attitüde das Verhalten beeinflusst, zeigte ein weiteres Experiment. Hier hatten die Freiwilligen die Möglichkeit, Geld an die Occupy-Bewegung zu spenden, die gegen soziale Ungleichheit kämpft. Kaum zu glauben: Wer sich selbst attraktiv fand, spendete weniger.

Was zunächst skurril klingt, erklären sich die Wissenschaftler durch die Wirkung körperlicher Schönheit. Signale eigener Attraktivität führen dazu, dass sich Menschen einer höheren Klasse zugehörig fühlen. Bekanntermaßen spricht der Volksmund von den vermeintlich „Reichen und Schönen“. Und wer dieser Klasse angehört, kann mit Ungleichheit gut leben – denn er selbst steht ja auf der Sonnenseite des Lebens.

Doch der unangenehme Nebeneffekt ist womöglich: Wer sich unattraktiv findet, fühlt sich sogleich als Mitglied einer unterprivilegierten Schicht – und mag Ungleichheit verständlicherweise nicht akzeptieren.

Schönheit mag im Auge des Betrachters liegen. Doch gleichzeitig entscheidet der Blick in den Spiegel offenbar nicht nur darüber, ob wir uns selbst schätzen und mögen – sondern auch, wie wir die Welt sehen.

Quelle:
Peter Belmi und Margaret Neale (2014). Mirror, mirror on the wall, who’s the fairest of them all? Thinking that one is attractive increases the tendency to support inequality. Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 124, Nummer Seite 133-149

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