Fähnchen im Wind – Wie schnell Menschen ihre Meinung ändern

Niemand mag die sprichwörtlichen Fähnchen im Wind, die ihre Ansichten immer nach der Mehrheit richten. Doch eine neue Studie zeigt eindrucksvoll, wie schnell Menschen ihre Meinung ändern können – ohne es zu merken.

Lars Hall von der schwedischen Lund Universität gilt als Entdecker der Wahlblindheit. In einer Studie im Jahr 2005 sollten 120 Personen aus zwei weiblichen Porträtfotos eines auswählen, das sie am attraktivsten fanden. Während die Probanden ihre Wahl noch begründeten, vertauschte Lund die Fotos heimlich.

Kurios: 70 Prozent der Freiwilligen bemerkten das gar nicht – und argumentierten damit für jenes Foto, das sie kurz zuvor noch abgelehnt hatten. Ein typischer Fall von choice blindness, wie Hall resümierte. Eben haben wir noch „A“ gesagt, jetzt finden wir „B“ gut. Jetzt hat sich Lund dem Thema in einer neuen Studie angenommen, allerdings mit einem noch kurioseren Ausgang.

Gemeinsam mit zwei Kollegen sprach er 160 Menschen zwischen 17 und 69 auf der Straße an und bat sie, kurz ein paar Fragen zu beantworten. Dann reichte er ihnen eine Kladde, darauf ein zweiseitiger Bogen mit Aussagen zu moralischen oder ethischen Aspekten. Etwa: „Die Gesellschaft muss auf das Wohl jedes einzelnen Bürgers achten.“

Nun sollten die Probanden auf einer Skala von eins bis neun angeben, inwiefern sie den Sätzen zustimmten (1: gar nicht, 9: völlig). Sie konnten sich also klar positionieren oder völlig neutral bleiben.

Zum Abschluss bat Lund die Freiwilligen darum, einige ihrer ersten Antworten laut vorzulesen und zu erklären, warum sie so dachten. In diesem Moment waren sie aber schon am Ende der zweiten Seite angekommen. Sie mussten also wieder auf die erste Seite umblättern. Und da passierte es.

Der Forscher hatte die Fragebögen vorher manipuliert. Immer wenn die Probanden die erste Seite umblätterten, löste sich ein Teil des Bogens und blieb an der Rückseite der Kladde kleben. Und darunter kamen jetzt auf der ersten Seite Aussagen zum Vorschein, die das genaue Gegenteil ausdrückten.

Zunächst lautete eine Aussage beispielsweise: „Regierungen sollte es verboten werden, E-Mails und das Internet zu überwachen, um den Terrorismus zu bekämpfen.“ Darunter hatten die Teilnehmer dann zunächst ihr Kreuzchen gesetzt. Nun lautete die Aussage aber: „Regierungen sollte es erlaubt werden, E-Mails und das Internet zu überwachen, um den Terrorismus zu bekämpfen.“

Mit anderen Worten: Die Antworten waren gleich geblieben, aber die Aussagen drückten das komplette Gegenteil aus. Ob den Teilnehmern das auffiel? Von wegen. Weniger als die Hälfte bemerkte den Zaubertrick überhaupt. Mehr noch: 69 Prozent akzeptierten mindestens eine der geänderten Meinungen und verteidigten sie sogar vehement.

„Häufig fanden sie völlig schlüssige und eindeutige Argumente – und unterstützten damit unbewusst das Gegenteil ihrer ursprünglichen Meinung“, sagt Lund. „Offenbar sind Menschen auch bei ihren moralischen Vorstellungen äußerst flexibel.“

Quelle:
Lars Hall, Petter Johansson und Thomas Strandberg (2012). Lifting the Veil of Morality: Choice Blindness and Attitude Reversals on a Self-Transforming Survey, PLoS One, Band 7, Ausgabe 9

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