So unangenehm sie auch sind – ohne Schmerzen wären wir nicht dieselben und unser Leben ernsthaft in Gefahr. Hier zehn psychologische und neurobiologische Fakten über Schmerzen.
1. Schmerz gehört zum somatosensorischen System
Klingt kompliziert, ist aber ganz simpel. „Soma“ ist das griechische Wort für „Körper“, „sensorius“ bedeutet auf Latein so viel wie „empfindsam“. Das somatosensorische System umfasst gleich vier Sinne auf einmal: den Tast-, Temperatur- und Schmerzsinn sowie die Eigenwahrnehmung des Körpers.
2. Es gibt drei Schmerzempfänger
Ein Schmerz ist zunächst mal nichts anderes als die Reaktion unseres Körpers auf einen Reiz – und zwar einen Reiz, der Gewebe zerstört oder kurz davor ist, das zu erreichen. Mit anderen Worten: Schmerz ist ein Abwehrsignal. Die Fähigkeit, Schmerzen empfinden zu können, nennt man Nozizeption (von Lateinisch „nocere“ = schaden). Dafür muss unser Körper einen Schmerz allerdings erstmal wahrnehmen. Dafür verantwortlich sind drei Arten von Nervenzellen, die Nozizeptoren. Erstens jene für Temperaturen, zweitens jene für chemische Substanzen, drittens jene für mechanische Stimulation. Sie sitzen in den meisten Körpergeweben, also Haut und Knochen, Muskeln und Organen, Blutgefäßen und Hirnhaut – aber nicht im Gehirn selbst. Und zum Glück auch nicht in Finger- und Fußnägeln und unseren Haaren.
3. Schmerz läuft in drei Phasen ab
Angenommen, wir pieksen uns den Finger an einer Reißzwecke. Phase 1: Zunächst reagiert der Schmerzrezeptor an der Hautoberfläche. Daraufhin senden sensorische Neuronen, also Nervenzellen, eine Nachricht an unser Rückenmark. Dort sitzen so genannte Interneuronen. Die wiederum sind eine Art Vermittler und aktivieren ein motorisches Neuron. Das macht sich auf den Weg zum Muskel im Finger – der daraufhin zurückzuckt. Erst wenn das erledigt ist, erhält das Gehirn eine Information über den Vorgang und speichert ihn hoffentlich im Gedächtnis – damit wir das nächste Mal vorsichtiger sind.
4. Schmerz aktiviert unterschiedliche Hirnregionen
Falls Sie demnächst mal mit unnützem Wissen prahlen wollen: Am häufigsten aktivieren Schmerzen Bereiche des anterioren cingulären Cortex (ACC). Auch das klingt schon wieder viel schwieriger als es ist. Der Cortex ist die Großhirnrinde, anterior deutet daraufhin, dass diese Region im vorderen Bereich unseres Gehirns liegt. Der ACC ist Teil des limbischen Systems, das vereinfacht gesagt für unsere Emotionen und Empfindungen zuständig ist. Er sorgt allerdings nicht für die Wahrnehmung von Schmerz, sondern regelt die emotionale Reaktion auf Schmerz.
5. Essen kann Schmerzen auslösen
Scharfe Chilis beinhalten die chemische Substanz Capsaicin. In geringer Menge ist der Stoff völlig in Ordnung, da er die Geschmacksrezeptoren anregt. Will sagen: Das Essen schmeckt schön würzig. Aber in zu hoher Dosis sorgt er dafür, dass die Schmerzrezeptoren dominieren. Das funktioniert, weil auf unserer Zunge Geschmacksknospen sitzen, die mit Nozizeptoren verbunden sind. Tröstlich: Nach einer Weile wird das Brennen im Mund nachlassen. Ein schönes Beispiel dafür, dass sich Schmerzrezeptoren an einen Reiz anpassen – und ein Beweis für den Ausruf „Schmerz, lass nach!“
6. Schmerz kann unterdrückt werden
Und zwar vor allem durch drei Arten. Erstens durch elektrische Stimulation einer bestimmten Hirnregion (für Feinschmecker: Die Region nennt sich periaquäduktales Grau). Zweitens durch Medikamente, denn praktischerweise enthält unser Gehirn Rezeptoren für schmerzhemmende Mittel wie Morphin oder Opium. Und drittens produziert unser Körper auch eigene Schmerzhemmer, zum Beispiel die so genannten Endorphine. Alle drei Arten sorgen vereinfacht gesagt dafür, dass die Schmerztore des Körpers geschlossen werden. Und das kann ja ganz hilfreich sein – manchmal, aber nur manchmal…
7. Manche Menschen kennen keinen Schmerz
Was beim ersten Lesen paradiesisch klingt, ist in Wahrheit die Hölle. Etwa 100 Menschen weltweit leiden unter einer angeborenen Unempfindlichkeit für Schmerzen, der so genannten „Congenital Insensitivity to pain“. Egal ob sie ihre Finger in kochendes Wasser halten oder sich ein Bein brechen – sie spüren absolut keinen Schmerz. Die ersten Fälle tauchten bereits im frühen 20. Jahrhundert auf. Inzwischen vermuten Wissenschaftler, dass für dieses Leiden ein Gen namens SCN9A verantwortlich ist. Bei den Betroffenen ist das Gen mutiert – so dass Nervenreize nicht weitergeleitet werden und im Gehirn kein Schmerzempfinden ankommt.
8. Schmerz wird psychologisch beeinflusst
Bereits in den Achtzigerjahren stellte der US-Psychologe Robert Melzack die „Filter-Kontroll-Theorie“ auf. Demnach können Zellen im Rückenmark die Schmerzsignale in gewissen Situationen unterbrechen – so dass diese gar nicht erst im Gehirn landen. Der Klassiker: Das Telefon klingelt, man sprintet hin und stößt sich den Zeh am Türrahmen. Autsch! Methode 1: Man drückt mit dem Finger auf den Zeh und versucht, den Schmerz zu vertreiben. Methode 2: Man redet sich ein, wie wichtig der Anruf ist – und schließt die Schmerztore.
9. Der Anblick unseres Partners lindert Schmerzen…
Naomi Eisenberger von der Universität von Kalifornien in Los Angeles setzte für ihre Studie 17 Studentinnen im Labor kurzen Hitzeschocks aus. Mal blickten sie auf ein Fotos ihres Partners, mal sahen sie Porträts eines anderen Mannes, mal Nahaufnahmen verschiedener Gegenstände. Nach dem kurzen Schock sollten die Teilnehmerinnen angeben, wie schmerzvoll sie die künstlich hervorgerufene Hitzewallung gefunden hatten. Und siehe da: Obwohl die Temperatur immer gleich war, empfanden die Frauen den Schmerz am harmlosesten, wenn sie während des Hitzeschocks das Foto ihres Liebsten anguckten.
10. …und die Körpersprache auch
Vanessa Bohns, Psychologin an der Universität von Toronto, ließ die 89 Freiwilligen ihrer Studie drei verschiedene Yoga-Positionen einnehmen: Gruppe A verharrte in einer dominanten Körperhaltung, Gruppe B in einer defensiven, Gruppe C in einer neutralen. Nun legte Bohns allen ein Blutdruckmessgerät um den Arm. Damit klemmte sie ihnen kurz das Blut ab – allerdings sollten sie „Stopp!“ rufen, sobald der Schmerz zu schlimm wurde. Danach sollten sie 20 Sekunden lang wieder ihre Yogapose einnehmen, im Anschluss testete Bohns nochmal die Schmerzgrenze. Ergebnis: Die Mitglieder von Gruppe A riefen am spätesten „Stopp!“. Offenbar übertrug sich die Alphamännchen-Haltung auf das Schmerzempfinden.
Quellen:
James Cox et al (2006). An SCN9A channelopathy causes congenital inability to experience pain. Nature, Band 444, Seite 894-898
Naomi Eisenberger et al (2011). Attachment figures activate a safety signal-related neural region and reduce pain experience. Proceedings of the National Academy of Sciences, Band 108, Nummer 28, Seite 11721-11726.
Vanessa Bohns und Scott Wiltermuth (2012) It hurts when I do this (or you do that): Posture and pain tolerance. Journal of Experimental Social Psychology, Band 48, Nummer 1, Seite 341-345
Welchen Sinn hat denn der Schmerz im Bauch, den eine Frau jeden Monat ertragen muss?