Hang zur Hybris – Das Phänomen der Selbsttäuschung

Wir wissen genau, was wir tun sollten – und lügen uns doch selbst in die Tasche. Ein klarer Fall von Selbstbetrug. Eine neue Studie ist dem Phänomen der Selbsttäuschung jetzt auf den Grund gegangen – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Ständig dieses Dilemma. Auf der einen Seite steht das, was wir tun sollten. Ethische und moralische Grundsätze etwa. Auf der anderen Seite steht unser Verhalten, das nicht selten gegen diesen Kodex verstößt. Wie gehen wir damit um? Stehen wir zu unseren Fehlern? Oder reden wir sie uns auch noch schön? Genau das wollte ein US-Forscherteam um den renommierten Verhaltensökonom Dan Ariely vom Massachusetts Institute of Technology und Zoe Chance von der Harvard Business School jetzt in einer Studie (.pdf) wissen.

Im ersten Experiment erklärten sich 76 Studenten dazu bereit, einen Mathetest zu absolvieren. Der Clou: Die eine Hälfte der Gruppe konnte die richtigen Antworten am unteren Ende der Seite bequem ablesen. Nach dem Ende des Tests sollten alle eine Prognose darüber abgeben, wie sie in einem weiteren Test ohne jegliche Pfusch-Möglichkeit abschneiden würden.

Ergebnis: Diejenigen, die die Antworten hatten sehen können, schnitten im ersten Test erwartungsgemäß nicht nur wesentlich besser ab – sie waren danach auch viel selbstsicherer. Im Schnitt rechneten sie damit, in der anschließenden Übung bis zu zehn Prozent besser abzuschneiden als jene, die den ersten Test auf ehrliche Art ablegten. Offenbar führte allein die falsche Illusion, alle Antworten zu kennen, zu einer höheren Selbsteinschätzung.

Wie tief verwurzelt dieser Hang zur Hybris in uns ist, zeigte ein weiteres Experiment. Hier lobten Ariely und Co. eine Prämie aus. Wer sein Ergebnis im Folgetest möglichst genau einschätzte, konnte bis zu 20 Dollar verdienen. Nicht die Welt, aber immerhin. Führte die Belohnung zu mehr Realismus? Von wegen. Wieder überschätzte sich die erste Gruppe maßlos.

Noch schlimmer wurde es allerdings, als die Pfuscher für ihre Leistung auch noch belohnt wurden. Im letzten Experiment verteilten die Forscher nach dem ersten Test Urkunden an einige Teilnehmer, als Auszeichnung für ein besonders gutes Ergebnis – auch an jene, die die Antworten hatten sehen können. Was das auslöste? Noch mehr Hybris: Die Pfuscher überschätzten ihre Leistung im Folgetest noch stärker. Die Ehrlichen ließen sich von der Auszeichnung hingegen nicht beeindrucken.

Mit anderen Worten: Wer pfuschen kann, redet sich hinterher ein, dass er die Leistung sozusagen seiner eigenen Genialität zu verdanken hat – und überschätzt sich dadurch maßlos. Dieser Effekt wird noch stärker, wenn er dafür zu allem Überfluss Lob einheimst. „Soziale Anerkennung und Selbsttäuschung gehen im Alltag oft Hand in Hand“, resümiert das Forscherteam, „und genau diese Anerkennung fördert die Selbsttäuschung nur noch mehr“.

Brachte diese Hybris denn wenigstens etwas? Leider nein: In allen Folgetests schnitten beide Gruppen gleich ab.

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