Motivation – Warum ein Rückstand zum Erfolg führt

Angeblich fängt der frühe Vogel den Wurm. Demnach ist es ein entscheidender Vorteil, als Erster aus den Startlöchern zu kommen. Eine neue Untersuchung räumt damit auf – demnach verhilft erst ein zwischenzeitlicher Rückstand zum Erfolg.

Wettbewerbe sind ein enormer Motivationsfaktor, sowohl im Sport als auch Büroalltag. Jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen, besser und schneller zu sein – und strengt sich daher noch ein bisschen mehr an. Konkurrenz soll das Geschäft beleben. Soweit zumindest die Theorie. In der Praxis birgt diese Denkweise allerdings eine Gefahr: Wer zwischenzeitlich feststellt, dass er den Anschluss an die Spitze bereits völlig verloren hat, verliert womöglich jeglichen Antrieb und gibt auf.

Aber wie reagieren Menschen, wenn sie nur knapp hinten liegen? Erhöht ein zwischenzeitlicher Rückstand vielleicht sogar die Motivation? Führt der Umweg durch die Verlierer-Gasse letztlich auf die Sieger-Straße? Genau diese Fragen wollten Jonah Berger (Wharton School of Business) und Devin Pope (Booth School of Business) in ihrer neuen Studie (.pdf) beantworten. Der Titel der Untersuchung: „Can Losing Lead to Winning?“.

Rückstand beim Pausentee

Zunächst analysierten die Wissenschaftler 18.000 Basketballspiele der amerikanischen Profiliga NBA sowie 45.000 Partien des Hochschulverbands NCAA von 1993 bis 2009. Berger und Pope konzentrierten sich dabei vor allem auf zwei Aspekte: Welche Mannschaft hatte zur Halbzeit vorne gelegen? Und welche hatte das Spiel letztendlich gewonnen?

Den Zeitpunkt wählten die beiden ganz bewusst – denn eine Halbzeit sei für ein Team eine optimale Gelegenheit, sich die Lage klar zu machen, Verbesserungen zu besprechen und sich damit für die weitere Spielzeit zu motivieren.

Als Berger und Pope sich die Halbzeitstände und die Endresultate anschauten, waren sie zunächst wenig überrascht: Je weiter ein Team beim Pausentee vorne lag, desto wahrscheinlicher war es beim Schlusspfiff siegreich. Eine Führung von sechs Punkten zur Halbzeit reichte in 80 Prozent der Fälle zu einem Sieg.

Doch dann schauten die Wissenschaftler noch mal genauer auf die Daten – und bemerkten eine verblüffende Regelmäßigkeit. Wer während der Unterbrechung nur mit einem Punkt hinten lag, gewann das Spiel mit höherer Wahrscheinlichkeit als eines, das mit einem Punkt führte! Der zwischenzeitliche Rückstand erhöhte die Siegchancen um bis zu acht Prozent. Mehr noch: Eine Mannschaft mit einem Punkt Rückstand gewann genauso häufig wie eine, die zur Halbzeit mit zwei Punkten führte.

Aber warum? Offenbar sorgte der Rückstand in der Halbzeit für einen erheblichen Motivationskick – denn jenes Team sammelte im folgenden Spielabschnitt meist mehr Punkte als der Gegner.

Gefälschtes Feedback

Nun wollten Berger und Pope die Resultate im Labor testen. Daher baten sie 171 Freiwillige darum, an einem kurzen Spiel teilzunehmen, bei dem sie drei US-Dollar gewinnen konnten. Die Aufgabe war verhältnismäßig simpel: Die Probanden sollten so schnell wie möglich zwei Tasten mit der Aufschrift „A“ und „B“ drücken.

Die eine Gruppe jedoch bekam zwischendurch Feedback – und zwar in drei unterschiedlichen Versionen: Manchen gaukelten die Wissenschaftler vor, dass sie um 50 Punkte zurücklägen; anderen sagten sie, dass sie nur einen Punkt weniger hatten, wieder anderen suggerierten sie eine knappe Führung. Die Kontrollgruppe bekam keine Rückmeldung.

Sie ahnen sicher, wer sich nach dem Päuschen noch mehr anstrengte. Genau: jene Teilnehmer, die sich in einem knappen Rückstand wähnten. Bei allen anderen hatte das Feedback keine Auswirkung.

Welcher Mechanismus ist hier am Werk? Das wollten Berger und Pope im letzten Teil der Untersuchung herausfinden. Der Versuchsaufbau war ähnlich, bloß sollten die 114 Probanden zuvor einen Fragebogen ausfüllen. Darin sollten sie angeben, wie stark sie davon überzeugt waren, ihr Schicksal selbst in den Händen zu halten. Und siehe da: Wer daran besonders glaubte, ließ sich von einem knappen Rückstand nicht aufhalten. Im Gegenteil: Dies motivierte die Freiwilligen bloß noch mehr – falls sie über ein hohes Maß an Selbstwirksamkeitserwartung verfügten.

So nennen Psychologen den Glauben, gewünschte Resultate mit eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen erzielen zu können. Wer darüber verfügt, der wirft die sprichwörtliche Flinte nicht ins Korn – sondern dreht erst so richtig auf, wenn er sich seines Rückstands bewusst wird. Oder, um den Kreis zu schließen: Der frühe Vogel fängt vielleicht den Wurm – aber erst die zweite Maus bekommt den Käse.

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