Nocebo-Effekt – Wenn Ärzte krank machen

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage, oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Eine neue Studie warnt jedoch genau vor solchen Hinweisen – denn sie können den so genannten Nocebo-Effekt verstärken.

Es passierte im Jahr 2007. Weil ihn seine Freundin verlassen hatte, wollte sich der 26­-jährige Derek Adams das Leben nehmen. Deshalb schluckte er 29 Kapseln ei­nes Antidepressivums, das er im Schrank hatte. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Sein Blutdruck sackte lebensbedrohlich ab, er wurde in die Notaufnahme eingeliefert.

Dort al­lerdings stellte sich heraus: Adams war Proband einer Medikamen­tenstudie – und gehörte zu jener Gruppe, die nur ein Scheinmedikament erhalten hatte und kein Antidepressivum. Mit anderen Worten: Adams war ein eingebildeter Kranker. Als er davon erfuhr, verschwan­den sämtliche Symptome plötzlich.

Der Fall gilt inzwischen als Parade­beispiel für den Nocebo-Effekt, den bösen ­Bruder des Placebo-Effekts. Kleine Lateinstunde nebenbei: „Placebo“ heißt soviel wie „Ich werde gefallen“, „Nocebo“ bedeutet „Ich werde schaden“. Der Placebo-Effekt ist inzwischen ziemlich bekannt. Man bekommt eine Tablette, einen Wirkstoff, einen Zaubertrank und glaubt fest daran, dass es einem danach besser geht oder dass man sich von Klippen stürzen und fliegen kann. Für den ersten Fall belegen zahlreiche Versuche, dass bloße Einbildung wirklich gesund machen kann. Im zweiten Fall passiert eher das Gegenteil.

Doch in den vergangenen Jahren häufen sich Erkenntnisse zum Nocebo-Effekt. Der tritt dann auf, wenn ne­gative Erwartungen ausreichen, um Krankheitssymptome hervorzurufen. Das passiert häufiger als man denkt – und mitunter sind dafür auch ebenjene Ärzte, Apotheker und Packungsbeilagen verantwortlich.

Vor diesen Risiken und Nebenwirkungen warnen jetzt auch deutsche Ärzte um Winfried Häuser vom Klinikum Saarbrücken. Sie haben sich in einer Untersuchung, die kürzlich im „Deutschen Ärzteblatt“ erschien, mit dem Nocebo-Effekt beschäftigt. Genauer gesagt haben sie eine Übersichtsarbeit (Metastudie) erstellt. Will sagen: Sie durchstöberten eine medizinische Datenbank nach Literatur und stießen dabei auf etwa 30 empirische Studien zum Nocebo-Effekt.

In einer Untersuchung wurden 50 Patienten mit chronischem Rückenschmerz nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe erhielt die Information, dass ein anschließender Beinbeugetest den Rückenschmerz leicht erhöhen könne. Der anderen Gruppe wurde gesagt, dass der Test sich nicht auf die Schmerzen auswirke. Ergebnis: Die Gruppe mit der negativen Vorabinformation hatte während des Tests stärkere Schmerzen und traute sich weniger Beinbeugungen zu – aus Angst, die Pein dadurch zu vergrößern.

Nun klingt das noch relativ harmlos. Doch für Häuser und seine Kollegen sind mitunter auch die vermeintlichen Experten dafür zuständig, dass der Nocebo-Effekt erst ausgelöst wird: „Die verbale und nonverbale Kommunikation von Ärzten und Pflegepersonal enthält zahlreiche unbeabsichtigte negative Suggestionen.“

Oft sind das vermeintliche Kleinigkeiten. Doch Sätze wie „Vielleicht hilft dieses Medikament“ können den Patienten verunsichern, „Sie brauchen keine Angst zu haben“ kann die Angst erst recht auslösen, Fragen wie „Ist Ihnen übel?“ lenken die Aufmerksamkeit auf die Übelkeit. Der Grund: Patienten seien für solche negative Suggestionen stark empfänglich, vor allem in Extremsituationen. Dann befänden sie sich „in einem natürlichen Trancezustand“, der sie enorm manipulierbar mache.

Die Studienautoren haben für Ärzte, Apotheker und Pfleger drei Tipps, um den Nocebo-Effekt zu minimieren.

1. Positives hervorheben: Im Aufklärungsgespräch sollten sie sich auf die Verträglichkeit eines Medikaments konzentrieren. Eine Studie zur Influenzaimpfung ergab zum Beispiel, dass Geimpfte weniger Nebenwirkungen angaben, wenn sie im Gespräch erfuhren, wie viele Personen die Impfung gut vertragen hatten.

2. Kritisches verschweigen: Experten sollten den Patient vor der Verschreibung eines Medikamentes fragen, ob er damit einverstanden sei, keine Informationen über geringe Nebenwirkungen zu erhalten (über schwerwiegende natürlich schon). Denn: In Studien erlebten Patienten, die über Nebenwirkungen informiert werden, genau diese Nebenwirkungen häufiger ald jene Patienten, die von diesen Nebenwirkungen nichts wussten.

3. Patienten erziehen: In einer Untersuchung wurden Patienten mit chronischen Schmerzen durch einen Apotheker geschult. Sie bekamen allgemeine Informationen über Schmerztherapie oder Nebenwirkungen von Medikamenten. Und siehe da: Die Anzahl der unerwünschten Wirkungen von Medikamenten reduzierte sich von 4,6 auf 1,6.

„Worte sind das mächtigste Werkzeug, über das ein Arzt verfügt“, schrieb der US-Mediziner Bernard Lown einst in seinem Buch ‚Die verlorene Kunst des Heilens‘, „Worte können allerdings – wie ein zweischneidiges Schwert – sowohl tief verletzen, als auch heilen.“

Quelle:
Winfried Häuser, Ernil Hansen, Paul Enck. Nocebo phenomena in medicine: their relevance in everyday clinical practice. Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 109, Heft 26, Seite 459–65.

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