Ich & Ich – 10 psychologische Fakten über Egoismus

In der aktuellen Ausgabe der WirtschaftsWoche beschäftige ich mich in einem Artikel mit dem Thema Egoismus. Meine These: Wir sind gar nicht so selbstsüchtig wie immer gedacht. Hier zehn psychologische Fakten über Egoismus.

1. Schon Kleinkinder sind hilfsbereit: Zu diesem Ergebnis kamen Felix Warneken und Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. In einem Experiment (.pdf) im Jahr 2006 ließen sie 18 Monate alte Babys dabei zuschauen, wie ein erwachsener Mann vergeblich versuchte, eine Schranktür zu öffnen – in seinen Händen hielt er einen Stapel Bücher. Und wie reagierten die Kinder? Als sie merkten, dass er ohne Hilfe nicht weiterkam, tapsten sie zu ihm und öffneten ihm die Tür. Dieselbe Hilfsbereitschaft zeigten sie, wenn es darum ging, einen Stift aufzuheben. Hier ein Video der Studie.

2. Mit sieben Jahren entwickeln wir Gerechtigkeitssinn: Ernst Fehr von der Uni Zürich verteilte in seiner Studie (.pdf) im Jahr 2008 Süßigkeiten an 229 Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren. Dann zeigte er den Kleinen das Foto eines anderen Kindes und forderte sie auf, ihre Portionen mit jenem zu teilen. Das Ergebnis war sehr unterschiedlich: Die drei- bis vierjährigen Kinder behielten das Naschzeug fast komplett für sich, von den fünf- bis sechsjährigen teilte etwa jeder fünfte. Am großzügigsten waren die Kinder zwischen sieben und acht, die etwa halbe-halbe machten.

3. Unser Gehirn belohnt uns für Selbstlosigkeit: Für ihre Studie (.pdf) im Jahr 2006 schoben die beiden US-Hirnforscher Jorge Moll und Jordan Grafman 19 Studenten in einen Kernspintomografen. Dann stellten sie ihnen ein Geldgeschenk in Höhe von etwa 100 Euro in Aussicht. Sofort erhöhte sich bei den Probanden die Aktivität des Belohnungszentrums im Gehirn. So weit, so normal. Im Anschluss sollten die Studenten sich jedoch vorstellen, die gesamte Summe zu spenden. Überraschend: Wieder sprang das Belohnungszentrum an. Mehr noch: Jetzt reagierte sogar ein Teil des präfrontalen Cortex, der bei uns Menschen für Aufmerksamkeit und Zuneigung zuständig ist.

4. Integration fördert Altruismus: Joseph Henrich von der Universität von British Columbia bereiste für eine umfangreiche Studie die ganze Welt. Mit insgesamt 2100 Menschen aus 15 verschiedenen Kulturen spielte er das Ultimatumspiel. Dessen Ablauf: Person A bekommt ein Geldgeschenk in Aussicht gestellt – allerdings muss sie das Geld mit Person B teilen. Der Haken: Lehnt Person B das erste Angebot von Person A ab, ist das gesamte Geld futsch. Henrich fand heraus: In allen Industrieländern geben Spieler im Schnitt die Hälfte des Betrags ab. Am wenigsten gaben Naturvölker ab, die im wahren Leben weitgehend ohne Kooperation überleben. Henrichs These: Je höher die wirtschaftliche Integration einer Gesellschaft, desto fairer verhalten sich dessen Mitglieder.

5. Altruismus macht glücklich: Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung untersuchte mit zwei Kollegen aus Australien und den Niederlanden für eine aktuelle Langzeitstudie (.pdf), wie zufrieden die Deutschen mit ihrem Leben sind. Dabei fanden sie heraus: Am glücklichsten waren nicht die Menschen, die nach Geld, Status oder Einfluss strebten – sondern diejenigen, die sich sozial und gemeinnützig engagierten.

6. Im Alltag denken wir selten an uns selbst: Der US-Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi fragte sich bereits im Jahr 1982: Wie oft denken Menschen im wahren Leben über sich selbst nach? Um es vorwegzunehmen: So gut wie gar nicht. Für seine Studie erklärten sich 107 Angestellte zwischen 19 und 63 Jahren dazu bereit, eine Woche lang einen Pager zu tragen. Das Gerät piepste bis zu neun Mal täglich in willkürlichen Abständen. Jedes Mal sollten die Teilnehmer sofort aufschreiben, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Resultat: Meist dachten die Personen an die Arbeit, träumten vor sich hin oder quatschten über belangloses Zeug – aber über sich selbst dachten sie kaum nach.

7. Geld fördert den Eigennutz: Einer alten Binsenweisheit zufolge soll Geld ja den Charakter verderben. Die US-Psychologin Kathleen Vohs von der Universität von Minnesota kann das bestätigen. In ihrer Studie im Jahr 2006 sollten die Probanden zunächst Worträtsel lösen. Der Clou: Die eine Hälfte der Teilnehmer las in den Rätseln Wörter wie „Gehalt“ oder „Vermögen“, die anderen bekamen neutrale Ausdrücke serviert. Hintergrund: Damit wollte Vohs das Unterbewusstsein der Probanden manipulieren – mit Erfolg. Im Anschluss an das Rätsel testete Vohs die Hilfsbereitschaft aller Teilnehmer. Und wer war am wenigsten kooperativ? Genau: diejenigen, die auf Geld eingestellt waren.

8. Altruismus steckt an: Selbstlose Taten sind bewundernswert. Mehr noch: Sie inspirieren uns so sehr, dass wir sie nachahmen wollen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von Simone Schnall von der Universität von Cambridge. Sie zeigte Freiwilligen unterschiedliche Fernsehspots – entweder einen Naturfilm, eine Comedy-Serie oder eine Wohltätigkeits-Show. Die Probanden sollten über die Clips einen Text schreiben. Danach fragte Schnall die Teilnehmer, ob sie noch einen Fragebogen für eine weitere Studie ausfüllen könnten. Sie ahnen sicher, wer am ehesten dazu bereit war – die Gruppe, die die Wohltätigkeits-Show gesehen hatte. Sie blieben doppelt so lange vor Ort wie die anderen beiden Gruppen.

9. Altruismus und Egoismus wechseln sich ab: Glaubt man Sonya Sachdeva von der Northwestern Universität, neigen wir dazu, uns in einem bestimmten Bereich äußerst egoistisch zu verhalten, wenn wir uns dafür in einem anderen besonders selbstlos zeigen. Die Wissenschaftlerin ließ ihre 46 Freiwilligen im Jahr 2009 drei Tests (.pdf) absolvieren. Einerseits sollten sich die Teilnehmer mit verschiedenen Begriffen selbst beschreiben, und zwar entweder positive („freundlich“, „fürsorglich“, „großzügig“) oder negative („selbstsüchtig“, „unehrlich“, „grausam“). Zusätzlich hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, Geld an eine wohltätige Organisation zu spenden. Und siehe da: Wer sich selbst positiv dargestellt hatte, spendete im Schnitt nur ein Fünftel von dem, was ein Testteilnehmer mit einer negativen Selbstbeschreibung abgab.

10. Strenge Augen fördern die Spendierlaune: Ärgern Sie sich häufig über Schnorrer am Arbeitsplatz? Ist die gemeinsame Kaffeekasse selten voll? Dann hat Melissa Bateson von der Universität von Newcastle einen Tipp für Sie. Im Jahr 2006 klebte sie Fotos menschlicher Augenpartien auf den Küchenschrank der Psychologischen Fakultät – direkt neben den Zettel, der die Besucher um eine Spende bat. Nach einer Woche tauschte sie die Augen gegen ein Blumen-Foto, in der dritten Woche hängte sie Augenpaare mit unterschiedlichem Blick auf. Das Ergebnis der Studie (.pdf): Klebten Augenbilder an der Schranktür, zahlten die Kaffeetrinker bis zu siebenmal mehr als während der Blumenwochen. Guckte das Augenpaar streng, landeten sogar 267 Prozent mehr Geld in der Kasse als sonst.

Wer noch mehr über Egoismus erfahren will – in den vergangenen Wochen sind gleich vier Bücher zu dem Thema erschienen. Und zwar:

Richard David Precht – Die Kunst, kein Egoist zu sein

Stefan Klein – Der Sinn des Gebens

Horst Opaschowski – Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben

Werner Siefer – Wir und was uns zu Menschen macht

34 Kommentare

  1. Punkt 3 definiert doch auch das es dann unterbewusst nicht Selbstlos ist. Durch das Handeln bekommt man Aufmerksamkeit und Zuneigung. Welches benötigt wird.

  2. Könnte man also sagen, dass Altruismus eine gesteigerte Form des Sozialen ist, die mit zunehmender Entropie in unserer Gesellschaft stärker hervortritt? Ich glaube nämlich gerade, dass der Altruismus die Gegentheorie zum Homo economicus ist…

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