Gastbeitrag von Hugo M. Kehr und Maika Rawolle – Die motivierende Kraft von Visionen

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sagte Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt. Dabei können Visionen für jeden von uns nützlich sein. Ein Gastbeitrag von Hugo M. Kehr und Maika Rawolle.

Keine Frage, Visionen klingen geheimnisvoll, vielleicht sogar mysteriös oder leicht verrückt. Und doch sind überaus wichtig. Denn Psychologen wissen inzwischen: Visionen sind unentbehrlich für Erfolg – und zwar sowohl für Individuen als auch für Organisationen.

Aus Sicht von Motivationspsychologen sind Visionen mentale Bilder einer erstrebenswerten und erreichbaren Zukunft. Zahlreiche Ratgeber empfehlen, Visionen zu entwickeln. Dahinter steckt der Gedanke, dass eine starke Vision zu Höchstleistungen anspornen kann. Auch die Fachliteratur bezeichnet die Fähigkeit leitender Angestellter, Visionen zu entwickeln und überzeugend zu vermitteln, als wichtige Führungskompetenz.

Aber lassen sich die positiven Effekte von Visionen empirisch nachweisen? Und was macht überhaupt eine gute Vision aus? Unser von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt „Die motivierende Kraft von Visionen“ hat darauf Antworten gefunden.

Wir hatten folgende Grundüberlegung: Mentale Bilder, die eine Vision ausmachen, wirken auf einer emotionalen Ebene, indem sie unbewusste Motive und Bedürfnisse eines Menschen anregen.

Zwei Voraussetzungen

Ob eine Vision motivieren kann oder nicht, ist an zwei Voraussetzungen gebunden: Sie sollte bildlich gut vorstellbar sein und mit den unbewussten Motiven eines Menschen übereinstimmen. Solche unbewussten Motive sind beispielsweise das Anschlussmotiv (andere Leute kennenlernen, Freundschaften schließen), das Leistungsmotiv (sein Bestes geben, sich verbessern) und das Machtmotiv (andere Menschen beeinflussen, im Mittelpunkt stehen).

Diese Überlegungen haben wir in drei Laborexperimenten mit insgesamt 165 Probanden umgesetzt. Zunächst teilten wir die Visionen danach ein, zu welchem Motiv sie passen: Anschluss, Macht oder Leistung. Wir wollten versuchen, mit bestimmten Visionen die entsprechenden unbewussten Motive unserer Probanden anzuregen – in der Hoffnung, damit deren Motivation zu steigern.

Drei Experimente

Im ersten Experiment untersuchten wir, ob der motivationssteigernde Effekt einer Vision zu bestimmten hormonellen Reaktionen führt. Aus Voruntersuchungen war bekannt, dass die Hormone darauf reagieren, wenn bestimmte unbewusste Motive angeregt werden. Daher verglichen wir eine Vision, die gut mit dem Anschluss-Motiv harmoniert, mit einer Vision, die gut zum Macht-Motiv passt.

Als Anschluss-Vision sollten sich die Probanden beispielsweise ausmalen, gemeinsam mit ihren Studienkollegen ihr Examen geschafft zu haben und es nun mit Familie und Freunden zu feiern. Als Macht-Vision sollten sich die Studenten vorstellen, das Examen geschafft zu haben, auf einer Bühne zu stehen, von ihrem Professor gelobt und von allen beklatscht zu werden.

Nun analysierten wir Speichelproben der Teilnehmer. Und siehe da: Die Macht-Vision erhöhte den Testosteronwert, die Anschluss-Vision führte zu einem Anstieg des Hormons Progesteron.

Das zweite Experiment widmete sich der Leistungsthematik. Die am Versuch teilnehmenden Studenten sollten sich zunächst vorstellen, ihr Studium mit überdurchschnittlichen Noten abzuschließen – und genau jene Studenten schnitten in einem anschließenden Konzentrationstest am besten ab. Außerdem fühlten sie sich stärker energetisiert – und das umso mehr, je ausgeprägter ihr unbewusstes Leistungsmotiv war.

Im dritten Experiment verglichen wir den Effekt einer Anschluss- mit einer Macht-Vision. Wie erwartet steigerte Letztere die Wettbewerbshaltung der Probanden in einem Spielszenario, wohingegen die Anschluss-Vision die Kooperationsbereitschaft erhöhte.

Außerdem wirkte sich die Macht-Vision wiederum auf den Speichel aus. Darin befand sich infolgedessen ein höherer Wert der so genannten Alpha-Amylase. Das Enzym aktiviert den Sympathikus, der als Teil des vegetativen Nervensystems dafür sorgt, den Körper in Leistungsbereitschaft zu versetzen.

Insgesamt bestätigen die Befunde also unsere Hypothese: Visionen sorgen für Motivation – und zwar messbar.

Fünf Tipps

1. Gönnen Sie sich eine Auszeit, um Ihre persönliche Vision zu entwickeln.
2. Ihre persönliche Vision sollte sich gut in Bildern vorstellen lassen. Beispiele für Visionen sind: „Ich feiere mein Examen mit meiner Familie“ oder „Ich halte eine Rede in einer großen Halle und 5000 Menschen jubeln mir zu“.
3. Glauben Sie an Ihre Vision, und binden Sie andere mit ein.
4. Setzen Sie Ihre Vision in konkrete Ziele und Maßnahmen um – denn eine Vision ohne Aktion ist nichts weiter als eine Halluzination.
5. Vertrauen Sie bei der Auswahl zwischen alternativen Zielen und Maßnahmen auf Ihr Bauchgefühl.

Zu den Autoren

Hugo M. Kehr ist Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie an der TU München. Von ihm stammt unter anderem das Buch Authentisches Selbstmanagement: Übungen zur Steigerung von Motivation und Willensstärke. Weitere Informationen zum DFG-Projekt „Die motivierende Kraft von Visionen: Eine Untersuchung der zugrundeliegenden Wirkmechanismen“ finden Sie hier.

Dr. Maika Rawolle ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologie.

15 Kommentare

  1. Hallo, netter Artikel.
    Ich habe zum Beispiel die Vision, dass jeder in Deutschland gesundes Trinkwasser bekommt. Ohne die Begleitstoffe, die jetzt mit aus der Leitung kommen.
    Dafür arbeite ich und helfe anderen eine Möglichkeit zu finden, wie es für jeden machbar ist. Gruß Markus

  2. Hallo,

    coole Studie. Ich betreibe mit einem Partner ein Geschäft und möchte wesentlich mehr erreichen und umsetzen. Leider blockiert mein Partner dieses Vorhaben. Selbst logische Einsparungen bekommt der nicht in die Birne.
    Was ratet ihr ? Sowas zieht einen nur runter.

    LG
    Ralf

  3. Was mich in dem Zusammenhang immer beschäftigt, ist die Frage: „Wann ist es ein Ziel, daß ich verfolge“ (und dafür brenne und es als Sinn meines Lebens ansehe) und „Wann ist es eine Vision“.

    Zu den 5 Tipps:
    1. Eine Vision ist für mich etwas was ich nicht „entwickeln muss“, damit ich sie habe. Es ist ein inneres Bedürfnis.
    2. „Ich feiere mein Examen mit meiner Familie“ ist für mich ein Ziel aber kein Vision.

    Ich denke viele können/wollen diese auch nicht so klar trennen. Eine Vision zu haben hört sich sicherlich besser an, als von einem Ziel zu reden.

    Aber wann wird aus einem Ziel eine Vision?

    Gruß
    Oliver Rumpf

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