Frage der Perspektive – Macht verändert die Selbstwahrnehmung

Macht verändert nicht nur den Charakter, sondern auch unsere Selbstwahrnehmung. Laut einer neuen Studie fühlen sich mächtige Menschen sprichwörtlich größer – und dadurch überschätzen sie sogar ihre eigene Körpergröße.

Vor einigen Tagen ging eine Studie durch die Medien, wonach die Körpergröße eines Politikers ein Erfolgsindikator sei. Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen habe in 58 Prozent der Fälle der größere Kandidat gewonnen, resümierten Gregg Murray und David Schmitz von der Texas Tech Universität. Außerdem ließen sie 467 Studenten einen Normalbürger und einen Politiker zeichnen – 64 Prozent malten den Politiker größer als den Bürger.

Es gebe eine natürliche Präferenz für großgewachsene Anführer, meinen die Wissenschaftler – denn solche Leitwölfe schützten ihre Herde besser vor feindlichen Angriffen als kleine.

Größe als Metapher

Schon in der Alltagssprache stellt die Körpergröße die Machtverhältnisse klar. Der eine fühlt sich wie „der große Zampano“, zu dem die „kleinen“ Leute „aufblicken“. Entwicklungspsychologen nehmen an, dass der Grundstein für Größe als Metapher bereits in der Kindkeit gelegt wird: Dort sind die Kinder kleiner als ihre Eltern und müssen sich nach ihnen richten – und in der Schule ärgern die größeren Kinder häufig die kleineren.

Dieser Zusammenhang bleibt im Erwachsenenalter bestehen. Mehr noch: Dort wirkt er sich sogar auf Job und Karriere aus. Größere Menschen verdienen mehr Geld, besetzen höhere Positionen und werden öfter Führungskraft – oder eben Präsident eines ganzen Landes, glaubt man der Studie von Murray und Schmitz.

Denkt man jedoch an europäische Staatenlenker, fallen einem sofort ein paar hübsche Gegenbeispiele für diese These ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel misst 1,64 Meter, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kommt auf immerhin 1,65 Meter, sein russischer Kollege Dimitri Medwedjew nur auf 1,62 Meter, Italiens Silvio Berlusconi ist ebenfalls nicht gerade als Riese verschrien.

Wahr ist allerdings auch: Das muss gar nicht sein – denn solche Anführer fühlen sich ohnehin schon viel größer, als sie in Wahrheit sind. Und zwar wortwörtlich: „Mächtige Personen überschätzen ihre Körpergröße im Vergleich zu ihren Mitmenschen“, schreiben die beiden US-Wissenschaftler Michelle Duguid (Washington Universität) und Jack Goncalo (Cornell) in ihrer neuen Studie (.pdf), die bald im Fachjournal „Psychological Science“ erscheinen wird.

Macht macht größer

Im ersten Experiment teilten sie 68 Teilnehmer in drei Gruppen. Ein Drittel sollte über ein Ereignis schreiben, bei dem sie besonders viel Macht über eine andere Person hatte. Ein anderes Drittel sollte darüber schreiben, wie eine andere Person Macht über sie hatte. Der Rest berichtete von einem Alltagserlebnis. Sinn der Sache: Gruppe A wurde dadurch auf Macht „geprimed“, also emotional in diese Lage zurückversetzt. Gruppe B wurde hingegen auf Unterwürfigkeit geprimed, Gruppe C blieb neutral.

Jetzt sollten alle Teilnehmer auf einen Pfahl blicken und schätzen, wie hoch er im Vergleich zu ihnen war. Was die Probanden nicht wussten: Duguid und Goncalo hatten die Pfähle so präpariert, dass sie immer genau 20 Inch (etwa 50 Zentimeter) größer waren als die Teilnehmer.

Und siehe da: Die drei Gruppen schätzten den Pfahl völlig unterschiedlich ein – je nachdem, in welcher Gruppe sie vorher gewesen waren. Wer auf Macht geprimed worden war, gab eine Pfahllänge von durchschnittlich 19 Inch an, er unterschätzte also dessen Größe. Die Gruppe der Unterwürfigen hingegen schätzte den Pfahl auf 25 Inch, sie zeigte also gewissermaßen zuviel Ehrfurcht.

Dasselbe Verhaltensmuster zeigten die 100 Freiwilligen des zweiten Experiments. Hier verwickelten die Wissenschaftler die Gruppe in ein Rollenspiel: Die einen fungierten als Führungskräfte, die anderen als Angestellte – wobei Duguid suggerierte, dass der Chef volle Kontrolle über den Mitarbeiter habe und seine Arbeit zum Schluss bewerten würde.

Nun sollten alle Probanden ihre eigene Körpergröße angeben. Kaum zu glauben, aber wahr: Die vermeintlichen Führungskräfte flunkerten am häufigsten – sie machten im Schnitt meist überzogene Angaben, während die Gruppe der Angestellten in puncto Körpergröße meist bei der Wahrheit blieb.

Offenbar besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen der psychologischen und der körperlichen Erfahrung von Macht. Macht verändert demnach nicht nur den Charakter, sondern auch die eigene Selbstwahrnehmung und wie man die Welt um sich herum sieht: Man selbst erscheint größer – und alle anderen plötzlich kleiner.

[Foto: Library of Congress]

25 Kommentare

  1. Das ist auch meine Erfahrung – wer mächtig ist, empfindet sich größer. Das ist auch eine Strategie von Kindern. Wenn sie sich zu klein fühlen, fangen sie an zu lügen. Das gibt ihnen „scheinbare“ Macht und sie fühlen sich größer. Und es gibt ganz, ganz viele Strategien, mit denen die Menschen mächtig werden können…
    Der Link zwischen dem körperlichen und psychologischen Aspekt der Macht ist sicher vergleichbar mit der körperlichen und psychischen Schmerzwahrnehmung. Hier hat man gefunden, dass sie im selben Areal im Gehirn verarbeitet werden.
    Danke für den schönen Artikel!

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