Der Schönheitsfehler-Effekt – Mängel machen attraktiv

Perfekte Menschen liebt niemand, erst die Flecken auf der weißen Weste machen interessant. Einer neuen Studie zufolge gilt das auch für Produkte – die schätzen wir bisweilen mehr, wenn sie ein paar Schönheitsfehler aufweisen.

Das ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichten Studie, die im kommenden Jahr im „Journal of Consumer Research“ erscheinen wird (Sie können die Studie schon heute als Word-Dokument herunterladen – und zwar hier).

Im ersten Experiment sollten 141 Freiwillige an einem Computer ein Paar Wanderstiefel bewerten. Der einen Hälfte der Teilnehmer gaben die Wissenschaftler um Danit Ein-Gar von der Tel Aviv Universität allerdings eine Zusatzaufgabe: Sie sollten versuchen, die Augen während der Bewertung ununterbrochen auf den Monitor zu richten. Außerdem sollten sie mitzählen, wie oft sie ihren Blick hatten abschweifen lassen.

Mit anderen Worten: Sie waren nicht nur damit beschäftigt, die Stiefel zu bewerten – sondern auch damit, sich auf den Bildschirm zu konzentrieren und zudem noch die Blicke mitzuzählen. Ihre Aufmerksamkeit war nicht allein auf die Stiefel gerichtet. Die andere Hälfte der Probanden konnte sich hingegen in Ruhe der Beschreibung der Stiefel widmen.

Noch mehr Effekte, die unser tagtäglich Verhalten prägen, finden Sie in meinem Buch "Ich denke, also spinn ich", das im Juli 2011 im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist.

Diese hatten Ein-Gar und Co. vorher manipuliert. Die einen Teilnehmer lasen lediglich Positives über die Schuhe, etwa von der fünfjährigen Garantie oder den verschiedenen Farben. Die anderen erfuhren ebenfalls von den Vorzügen, allerdings lernten sie zusätzlich, dass es die Stiefel „ausschließlich in zwei Farben“ gebe. Nun wurden alle Probanden gefragt, ob sie die Schuhe kaufen wollten – auf einer Skala von 1 (auf keinen Fall) bis 7 (unbedingt).

Ergebnis: Die Teilnehmer von Gruppe A – jene also, deren Aufmerksamkeit nicht vollständig auf der Beschreibung lag -, wollten die Stiefel eher dann kaufen, wenn es sie lediglich in zwei Farben gab. Wer sich komplett auf die Stiefel konzentrierte, fand sie attraktiver, wenn sie lediglich positiv geschildert wurden.

Zerbrochener Schokoriegel

Ein ähnliches Resultat erhielten die Wissenschaftler in einem zweiten Experiment. Hier fingen sie insgesamt 235 Studenten auf dem Campus ab und fragten sie, ob sie einen Schokoriegel kaufen wollten. Mal schwärmten die Forscher den Teilnehmern von dem Riegel vor: Er liege in Kundenbefragungen regelmäßig vorne, sei gut gekühlt (das Experiment fand an einem heißen Sommertag statt) und außerdem gebe es noch Rabatt.

Allerdings passten Ein-Gar und Co. die Teilnehmer zu unterschiedlichen Zeitpunkten ab: Ein Teil wurde unmittelbar vor einer Klausur angesprochen, einer Situation also, in der man besseres zu tun hat, als einem Schokoriegel-Verkäufer zuzuhören. Außerdem variierte die Beschreibung des Produkts: Mal wurde nur Positives berichtet, mal erfuhren die Studenten, dass der Riegel leider in der Mitte zerbrochen sei. Ein klarer Schönheitsfehler also.

Doch das Überraschende war: Wieder steigerte der Makel den Kaufanreiz. Studenten, die vor einer Klausur angesprochen wurden, kauften die Riegel dann eher.

Missgeschicke wecken Sympathie

Ein-Gar nennt dieses Phänomen „Blemishing Effect“ (Blemish heißt so viel wie „Schönheitsfehler“). Ihm zufolge lief bei den Experimenten folgender Denkprozess ab: Zunächst erfuhren die potenziellen Kunden nur von den Vorteilen, und so konnten sie sich bereits eine erste Meinung bilden. Als dann der Schönheitsfehler entdeckt wurde, mussten sie ihr Urteil noch mal überdenken – und fragten sich unterbewusst, wie sie überhaupt dazu gekommen waren. Dabei riefen sie sich wieder die Vorzüge des Produkts in den Kopf – und fanden es nur noch umso toller. Die Nachteile blendeten sie vor lauter Unkonzentriertheit einfach aus.

Der Schönheitsfehler-Effekt erinnert an den Pratfall-Effekt, den Jochen und ich auch in unserem Buch beschreiben. 1966 stellten Wissenschaftler um den renommierten US-Psychologen Elliot Aronson fest, dass kleine Missgeschicke die Sympathie erhöhen. Für seine Studie spielte er den Probanden Tonbänder vor, auf denen verschiedene Personen Quizfragen beantworteten. Gelegentlich war deutlich zu hören, wie die Kandidaten einen Becher Kaffee verschütteten.

Ergebnis: Wem dieses Missgeschick widerfuhr, wurde von den Probanden durchweg sympathischer eingeschätzt – allerdings nur dann, wenn er viele der Fragen auch korrekt beantwortete. Wer hingegen in dem Quiz versagte und zu allem Ü̈berfluss auch noch seine Tasse umschmiss, fiel in der Bewertung deutlich zurück.

Aronson schloss daraus, dass die Attraktivität einer als kompetent eingeschä̈tzten Person steigt, wenn sie einen kleinen Fehler offenbart. Dieses Phänomen taufte der Psychologe Pratfall-Effekt (Pratfall bedeutet „Reinfall“). Und der gilt laut der neuen Studie nicht nur bei Menschen – sondern auch bei Produkten.

 

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