As time goes by – Wie unser Zeitgefühl uns beeinflusst

Es gibt Momente, in denen die Zeit einfach nicht vergeht – so zumindest unser Empfinden. Und dann gibt es die Momente, die leider viel zu schnell vorbeigehen. Lässt sich unser Zeitgefühl beeinflussen?

Nehmen wir mal an, Ihre Schwiegereltern sind kaum zu ertragen (wichtiger Hinweis: Ich spreche nicht aus Erfahrung!). Nehmen wir nun weiter an, Sie sind mit Ihrem Herzblatt bei den Schwiegereltern zum Abendessen eingeladen. Auf der Hinfahrt versucht Ihr Partner, Sie zu beruhigen: „Ach komm schon, das dauert doch höchstens zwei Stunden.“

Natürlich ist dieser Hinweis gut gemeint – aber bringt er auch etwas? Mit anderen Worten: Ertragen wir unangenehme Situationen besser, wenn wir genau wissen, wie lange sie dauern werden? Und gilt umgekehrt: Genießen wir schöne Momente umso mehr, wenn wir uns ihrer Endlichkeit bewusst sind?

Diese Fragen stellten sich auch Min Zhao und Claire Tsai, Assistenzprofessorinnen an der Rotman School of Management in Toronto. Für ihre Studie (.pdf), die im Oktober im „Journal of Consumer Research“ veröffentlicht wird, dachten sie sich verschiedene Experimente aus.

Für das erste gewannen sie 83 zehn- bis zwölfjährige Schüler einer taiwanesischen Förderschule. Diese „cram schools“ geben den Kindern nach dem regulären Unterricht noch drei Stunden Nachhilfe – wohlgemerkt von sechs bis neun Uhr abends. Die Gruppe wurde nun von ihren Lehrern dazu aufgefordert, noch eine Zusatzaufgabe zu erledigen. Man kann davon ausgehen, dass die Schüler nach so einem langen Tag keine allzu große Lust auf geistige Überstunden hatten.

Der einen Hälfte wurde mitgeteilt, dass die Extraschicht exakt 60 Minuten dauern würde. Der anderen Hälfte verrieten die Forscher lediglich, dass das Prozedere in etwa so viel Zeit kosten würde wie eine reguläre Unterrichtseinheit – und diese, das wussten die Kinder aus Erfahrung, dauerte zwischen 30 und 90 Minuten. Mit anderen Worten: Gruppe zwei hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel Zeit sie opfern musste – Gruppe eins wusste es genau.

Nach dem Ende der Sonderaufgabe sollten alle Schüler auf einer Skala von 1 bis 10 angeben, wie wohl sie sich währenddessen gefühlt hatten (1: sehr unwohl und elend, 10: super und glücklich). Und siehe da: Die erste Gruppe äußerte sich viel unzufriedener und unglücklicher.

Das Ergebnis überrascht dann doch. Intuitiv würde man davon ausgehen, dass es uns leichter fällt, etwas Unangenehmes zu durchleben, wenn wir wenigstens wissen, wie lange es genau dauern wird – aber hier war genau das Gegenteil der Fall. Und nicht nur dort.

Dasselbe Resultat erhielten Zhao und Tsai nämlich auch in den Folgeexperimenten. In einem davon hörten 139 Freiwillige 30 Sekunden lang eine Tonbandaufnahme – die eine Hälfte lauschte dem Gesang des Sängers John Mayer, die andere dem Gekrächze einer der beiden Professorinnen. Will sagen: Letztere durchlebten keinen wirklichen akustischen Genuss.

Wieder war das Ergebnis gleich: Das Wissen um die genaue Dauer der Aufnahme beeinflusste das Hörerlebnis. Mehr noch: Wer dem Barden Mayer lauschte, genoss den Gesang umso mehr. Wer die schiefen Töne der Wissenschaftlerin hörte, fand das gleich noch schrecklicher, wenn er wusste, wie lange seine Ohren das noch ertragen mussten. Mit anderen Worten: Das Wissen um die genaue Dauer intensiviert die Erfahrung – und zwar im guten wie im schlechten.

Doch einen Tipp haben die Wissenschaftlerinnen auch parat: Zählen Sie die Zeit herunter. Der innere Countdown, so das Kalkül, lenkt unsere Aufmerksamkeit weg von der Erfahrung – und hin zu deren Ende. Wenn Sie also das nächste Mal bei ihren Schwiegereltern sind, zählen sie einfach die verbleibenden Minuten. Aber bitte leise.

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