Arm, aber sexy – Warum wir Schulden machen

Egal ob Staaten, Unternehmen oder Bürger: Viele leben heute auf Pump – und verschulden sich immer weiter. Nicht selten sogar freiwillig. Warum machen wir so gerne Schulden? Eine neue Studie hat eine Antwort darauf gefunden.

Berlin sei arm, aber sexy, sagte Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister der Hauptstadt einmal. Damit wollte er darauf anspielen, dass Berlin trotz tief roter Zahlen im Haushalt irgendwie dufte sei. Die hohen Schulden? Halb so wild!

Nun kann man Wowereits Aussage natürlich als populistischen Quark disqualifizieren, der mit seriöser Finanzplanung nichts mehr zu tun hat. Doch wahr ist auch: Nicht wenige leben heute auf Pump – Staaten, Unternehmen und auch Bürger. Alle leisten sich Dinge, die sie sich streng genommen gar nicht mehr erlauben können. Schlechtes Gewissen? Fehlanzeige. Wie kann das sein? Die Antwort: weil es zutiefst menschlich ist, in gewissen Situationen lieber noch mehr Schulden zu machen, anstatt diszipliniert zu sparen.

Zu diesem Ergebnis kommen Abigail Sussman und Eldar Shafir von der Princeton Universität in einer neuen Studie. Deren Essenz: Hohe Schulden führen nicht zwangsläufig zu mehr Disziplin.

Im ersten Versuch lasen 48 Personen mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren acht Beschreibungen verschiedener Personen. Jedes Mal hatte Person A weniger Kapital als Person B, aber auch weniger Schulden. Etwa: „Herr Grün hat 200 Dollar Kapital und 44.200 Dollar Schulden. Herr Rot hat 42.100 Dollar Kapital und 86.100 Dollar Schulden. Wer ist finanziell besser dran?“

Die richtige Antwort wäre natürlich: keiner von beiden. Denn unter dem Strich haben beide Schulden in Höhe von 44.000 Dollar. Doch das scherte die Probanden wenig.

Ihre Meinung war nämlich davon abhängig, ob die Personen unter dem Strich schwarze oder roten Zahlen schrieben. Hatten beide eine positive Bilanz, dann fanden 79 Prozent der Probanden die Person mit weniger Schulden und weniger Vermögen wohlhabender. Ganz anders jedoch war das Bild bei negativer Bilanz: Hier fanden 77 Prozent die Person mit höherem Vermögen und höheren Schulden reicher.

Der Grund laut Sussman und Shafir: Bei einer positiven Bilanz schmälern Schulden den Eindruck des Wohlstands – und das kann entsprechendes Vermögen nicht wettmachen. Ist hingegen die Bilanz unter dem Strich negativ, vermittelt das Vermögen trotzdem ein Bild des Wohlstands – und die Schulden werden ignoriert.

Ähnliche Resultate erzielten die beiden Wissenschaftler in zwei weiteren Versuchen. Bei einem Experiment sollten die Probanden entscheiden, wann sie sich eher Geld für den Kauf eines Luxusprodukts leihen würden. Eindeutiges Ergebnis: Waren sie finanziell im roten Bereich, bevorzugten 64 Prozent der Teilnehmer einen Kredit, wenn sie hohe Schulden und hohes Vermögen hatten. Waren sie unter dem Strich im grünen Bereich, präferierten 82 Prozent die Kreditaufnahme bei niedrigen Schulden und niedrigem Vermögen.

Schon merkwürdig: In der einen Situation favorisieren wir ein größeres Vermögen und sträuben uns gegen einen Kredit. In der anderen Situation pfeifen wir auf hohe Schulden und pumpen uns trotzdem Geld. Warum?

Abigail Sussman vermutet dahinter einen simplen psychologischen Reflex: Wer über Wohlstand nachdenke, habe dabei vor allem das Gesamtvermögen im Hinterkopf, ob es unter dem Strich positiv oder negativ sei. Dabei sei das genaue Gegenteil – Schulden bei positiver Bilanz, Kapital bei negativer – besonders „salient“, also hervorstechend.

„Schulden bekommen bei einer positiven Bilanz mehr Aufmerksamkeit“, sagt Sussman, „und Kapital wiegt bei negativer Bilanz schwerer.“ Wer bereits in den Miesen ist, sollte eigentlich daran interessiert sein, wieder auf eine schwarze Null zu kommen. Uneigentlich jedoch ist offenbar genau für ihn ein Kredit besonders attraktiv.

Unser Verhältnis zu Münzen und Scheinen ist offenbar ziemlich merkwürdig. Das zeigte schon eine Studie (.pdf) der späteren Ökonomie-Nobelpreisträger Amos Tversky und Daniel Kahneman im Jahr 1986. Die eine Hälfte der Probanden sollte sich ausmalen, 300 US-Dollar mehr zu besitzen, als tatsächlich der Fall war. Jetzt durften sie sich entscheiden, ob sie lieber 100 Dollar geschenkt haben wollten; oder ob sie sich auf ein Spiel einlassen, bei dem sie 200 Dollar gewinnen konnten – allerdings mit dem Risiko, leer auszugehen.

Die andere Hälfte sollte sich vorstellen, um 500 Dollar reicher zu sein. Sie sollten nun wählen: Wollten sie lieber mit 100-prozentiger Sicherheit 100 Dollar verlieren? Oder die 50-Prozent-Chance riskieren, alles für sich behalten zu können – und schlimmstenfalls 200 Dollar abzugeben?

Die finanziellen Aussichten sind in beiden Szenarien ähnlich. Und dennoch entschieden sich die Probanden völlig unterschiedlich: In der ersten Situation bevorzugten die meisten den sicheren Gewinn von 100 Dollar, in der zweiten wählten sie die Risikovariante. Sie nahmen den größeren Verlust in Kauf – denn die Aussicht, nichts zu verlieren, war doch zu verlockend.

Was man hat, das hat man eben – und will es nicht mehr hergeben. Im Zweifelsfall ist man demnach lieber arm, aber sexy.

Quelle:
Abigail B. Sussman and Eldar Shafir (2012). On Assets and Debt in the Psychology of Perceived Wealth. Psychological Science, Band 23, Ausgabe 1, Seite 101-108.

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